Spiele-Nachmittag im Elternhaus. Gerade recht neu auf dem Markt war das Brettspiel „Deutschlandreise“ und bei mir stand es auf der Favoritenliste. Schon als Teenager fuhr ich gerne mit dem Finger auf der Deutschlandkarte herum und hatte mich deshalb bei der Spielewahl durchgesetzt.
Das Spielbrett lag ausgebreitet auf dem Tisch. Würfel und Spielsteine waren verteilt und die Zielfahne hatte ihren Platz gefunden. Jede von uns vier Spielerinnen hatte ihre Anzahl an Stadtkarten, Flugkarten und Ereigniskarten. Die restlichen lagen auf Stapel auf dem dafür vorgesehenen Platz auf dem Spielbrett. Auf dem Spielbrett waren etwa 200 Städte Deutschlands mit einem roten Punkt und dem entsprechenden Namen gekennzeichnet. Jedes Spielfeldviertel hatte eine andere Farbe, so dass man die Stadt, zu der man reisen sollte, schneller finden konnte.
Von jeder Farbe gab es gleich viele Karten im eigenen Stapel, so dass also jeder Spieler im Laufe des Spiels in ganz Deutschland herumgekurvt ist. Sieger war, wer als erstes seine Karten ausgespielt hatte und wieder in der Stadt ankam, die als Start und Ziel von dem Spielleiter aus dem Stapel gezogen worden war.
Zwischen den roten Punkten, die je eine Stadt markieren waren schwarze Striche, die eine Verbindung darstellten. Manche Städte, wie zum Beispiel Frankfurt am Main, hatten viele Verbindungen. Als Spieler kam man also recht leicht dort hin. Anders jedoch die Städte, die sich im Osten Deutschlands befanden. Zu dieser Zeit gab es noch zwei deutsche Staaten, aber natürlich konnte man im Spiel die erlaubten Grenzübergänge benutzen und in der DDR herumreisen.
Aber wie in der Realität, so gab es eben auch auf dem Spielbrett nur drei Grenzübergänge. Die Verbindung zwischen Plauen und Hof fehlte. Da konnte man zwar über Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) hingelangen, musste aber wieder zurück.
Der Clou an der Sache war, dass man mit direkter Augenzahl auf die nächste Stadt auf dem eigenen Stapel kommen musste. Also los geht’s. Reihum würfeln und Stadt für Stadt in Deutschland mit dem eigenen Spielstein abfahren. Mein Spielstein war weiß. Wie fast immer. Der Startstadt war heute Aachen. Also so ziemlich im Westen. Sortieren der Karten war erlaubt. Wer würde heute der Sieger im Spiel sein?
Emden, Bremen, Verden, Lüneburg, Izehoe, Bielefeld, Wolfsburg, Koblenz. … Alles Karten, die ich schon abgelegt hatte. Ich war zufrieden und legte mich ins Zeug. Zwischendurch eine Ereigniskarte ziehen oder eine Flugkarte ausspielen, wenn ich längere Verbindungsstrecken zurücklegen will.
Ab in den Südwesten. Darmstadt, Baden Baden, Rottweil, Ravensburg, Ulm, Donaueschingen. … Auch hier kam ich gut voran. Nun den Südosten abgrasen. Also mehrheitlich Bayern. Regensburg, München, Tauberbischofsheim, Würzburg, Cham, Bayreuth, Hof. … Das Spiel nahm an Geschwindigkeit zu und ich bekam über meine Mitspieler starke Konkurrenz. Jemand zog eine Ereigniskarte, auf der stand, dass man einem anderen Spieler eine extra Stadtkarte geben kann.
Uff. Ich bin der Empfänger. Ich schaute auf den Stadtnamen: Karl-Marx-Stadt.
Na denn. Auf in den Osten. Wo sind denn die Grenzübergänge? Ach, hier bei Bad Hersfeld und Eisenach. Ach und ich musste noch nach Magdeburg, Schwerin, Potsdam, Neubrandenburg, Frankfurt/Oder, Cottbus. Und dann eben Karl-Marx-Stadt.
Mist. Wenig Verbindungen. Viele Einbahnstraßen. Ich gurke rum und komme schlecht weiter. Meine Mitspieler, die zuerst im Osten Deutschlands unterwegs waren, schätzen sich glücklich und machen jetzt die Städte im Ruhrgebiet. Dort gibt es zu allen Städten viele Verbindungen. Ich aber stöhne. Endlich nur noch Karl-Marx-Stadt, und dann so schnell wie möglich nach Aachen zurück zur Zielstadt, wo die Fahne steht.
Der Würfel steht nicht mehr auf meiner Seite. Ich komme und komme nicht auf dieses Karl-Marx-Stadt. Endlich habe ich es geschafft. Aber da ist eine Mitspielerin schon fertig. Wir entscheiden weiterzuspielen, bis alle fertig sind. Nächster Spielzug, die nächste Mitspielerin ist fertig. Jetzt sind wir nur noch zu zweit. Ich beeile mich, was der Würfel hergibt. Und komme endlich wieder aus der DDR hinaus. Aber ich schaffe es nicht, bis nach Aachen. Auch die dritte Mitspielerin ist schneller.
Verloren wegen schlechter Verbindung zu Karl-Marx-Stadt.
Und das auch beim nächsten, übernächsten, überübernächsten Spiel und so weiter. Komischerweise immer, weil ich in Karl-Marx-Stadt hängen bleibe.
Eine Vorhersehung? Hängen bleiben wegen schlechter Verbindung?
Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf dieses Spiel. Es versank in der großen Kiste.
Und dann traf ich nach ungefähr 10 Jahren meinen Traummann. Ein Lieblingsmensch, zu dem eine starke Verbindung anfing zu wachsen. Ich fragte ihn, aus welcher Stadt er denn käme und erhielt zur Antwort: Chemnitz (ehemals Karl-Marx-Stadt).
War das nun zum Lachen oder zum Weinen? Ich entschied mich für das Lachen und für meinen Traummann, mit dem ich jetzt schon gefühlt unzählige Jahre eine starke Verbindung aufgebaut habe.
Nun frage ich dich. Ist das Zufall, oder vorherbestimmt? Was meinst du? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.
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Danke an Anna, für den Impuls zur 50. Blognacht: eine starke Verbindung.