Marianne hievt ihren Rollator aus der offenen Bustür und stellt langsam ein Bein nach dem anderen auf den Bürgersteig. Dann macht sie zwei Schritte und bleibt stehen, während der Busfahrer die Tür schließt und davonfährt. Schwer atmend setzt sie sich auf die Sitzfläche ihres Rollators und legt ihre Ellbogen rechts und links auf die Griffe.

Auf der anderen Straßenseite geht Ingrid und ruft: „Hallo, Hallo! Ich komme gleich.“ Dabei winkt sie kräftig und schiebt einhändig den wackelnden Rollator vor sich an die Bordsteinkante. Fast bekommt Marianne es mit der Angst zu tun, als sie sieht, wie ein dicker LKW anrollt, der ihre Freundin für einen Augenblick ihren Blicken entzieht.

Während Marianne durch ihre dicke Brille beobachtet, wie Ingrid hektisch ruckelnd ihren Rollator auf die Straße schiebt und zu ihr herüberkommt, spürt sie einen Druck in ihrer Blase. Ich hätte nicht so viel Kaffee trinken sollen, ehe ich losgefahren bin, überlegt sie.

Als Ingrid ihren Rollator direkt vor ihren Knien parkt und Anstalten macht, sie zu umarmen, wehrt Marianne ab. „Nicht so stürmisch, sonst fallen wir beide um. Wie lange dauert es noch bis zu dem Café wo du für uns beide reserviert hast?“

„Das ist nicht weit.“ Ingrid zeigt mit dem Daumen über ihre Schulter nach hinten. Marianne folgt mit den Augen.

„Na, wenn du die Entfernung nur mal nicht unterschätzt. Wir sind mit unseren rollenden Gehilfen bestimmt nicht so schnell. Wir sollten uns aber beeilen. Du weißt ja. In unserem Alter muss man öfter.“

„Ach. Das wirst du schon noch halten können“, sagt Ingrid und Marianne freut sich, dass ihre Freundin ihr das noch zutraut. Sie ist sich selbst aber nicht ganz sicher und klemmt ihre Oberschenkel zusammen.

Die beiden Seniorinnen legen achtsam und bedächtig die holprige Kopfsteinpflasterstrecke bis zum Café zurück. Mit jeder Unebenheit verstärkt sich der Druck in Mariannes Blase. Vor dem Café müssen die beiden Freundinnen auf die andere Straßenseite wechseln. Der Fußgängerüberweg ist durch eine Ampel geregelt. Mit schnellen, kräftigen Hieben fordert Marianne das Signal an. Endlich bemerkt sie, dass die Autos anhalten.

„Mensch! Mach schon,“ grummelt sie vor sich hin und trippelt von einem Fuß auf den anderen.

„Nein. Lieber jetzt noch nicht.“ Ingrid blinzelt sie schalkhaft an. „Warte lieber, bis zu drüben aufs Örtchen kannst.“

„Du! Bring mich nicht zum Lachen! Ich will nicht vor der Zeit loslassen.“ Marianne grinst schräg. Unruhig schiebt sie ihrem Rollator hin und her. Endlich springt das Ampelzeichen auf Grün. Hohe Pipstöne aus dem Ampelschaltkasten begleiten sie bis zur anderen Straßenseite.

Marianne nimmt sofort Kurs auf die Eingangstür. Mit ihrem Rollator geht sie dicht ran und zieht am Griff. „Die geht aber schwer,“ stöhnt sie und verstärkt den Druck ihrer Oberschenkel.

„Jetzt aber hurtig!“ Ingrid setzt sich auf ihren Rollator, drückt die Tür nach hinten und klatscht in die Hände. „Geh schon mal vor. Da geht’s lang.“ Mit dem Kopf nickt sie schräg nach hinten.

Schneller als sonst schiebt Marianne ihren Rollator in die angezeigte Richtung und ist kurz darauf hinter der Tür verschwunden, die als „für Damen“ markiert ist.

Als sie zurückkommt, hat Ingrid einen schönen Fensterplatz ergattert. Marianne schiebt ihren Rollator an die Seite und setzt sich ihrer Freundin gegenüber. Ein tiefer Seufzer entweicht ihrer Brust. „So. Erleichtert. Das war höchste Zeit zum Loslassen.“

—–

Kamst du auch einmal in eine Situation, in der du dringend etwas loslassen musstest? Schreib mir gerne einen Kommentar.

Dieser Beitrag ist entstanden aufgrund eines Impulses aus der Blognacht von Anna Koschinski.

Beschwingt gehe ich die letzten Schritte zu meinem Brötchengeber. Ich öffne die Tür und wünsche allen einen wunderschönen guten Tag. Das Echo kommt von drei Kolleginnen, mit denen ich das Büro teile.

An einem der vier Schreibtische sitzt die große, schlanke Kollegin auf dem einzigen höhenverstellbaren Bürostuhl und tippt eifrig.

„So. Fertig. Du kannst.“ Sie steht auf und macht mir Platz.

„Ups. Heut ist klettern angesagt“, rufe ich und hüpfe hoch. Dann greife ich an die Seite des Stuhls, fahre runter und justiere meine Sitzhöhe.

Während ich meine Nachrichten prüfe, verteilen sich die Kolleginnen im Haus. Später tue ich es ihnen nach.

Nach einigen Stunden komme ich zurück. Nicht mehr lange, dann ist Feierabend. Wie alle meine Kolleginnen beginne und beende ich die Zeit bei meinem Arbeitgeber mit „kurz in den Computer gucken“ wie wir gerne untereinander sagen.

Einen Moment muss ich noch warten, dann steht unsere kleinste und jüngste Kollegin auf und überlässt mir den Platz.

Beim Hinsetzen falle ich tief und komme hart auf. „Au!“

Sie lacht und sagt: „Na, mal wieder vergessen, dass ich fast ganz unten sitze?“

Mir entgeht die Mehrdeutigkeit ihrer Worte nicht. Schmunzelnd fahre ich die Sitzfläche des Bürostuhls hoch und justiere ein zweites Mal an diesem Tag meine Sitzhöhe.

Auf dem Weg nach Hause denke ich darüber nach, was ich durch den einen Stuhl schon alles lernen konnte. Geduld, Höflichkeit und Rücksicht zum Beispiel. Aber es könnte auch etwas anderes sein.

Was meinst du? Schreib mir doch gerne einen Kommentar.

Mein Lieblingsmensch ruft mich und zeigt mir ein Foto auf dem Computerbildschirm.

„Schau mal. Das finde ich ganz toll. Das möchte ich mir gerne bestellen.“

„Hm.“ Ich runzle die Stirn und kratze mir am Kopf. „Denkst du nicht, dass das ein bisschen zu groß ist?“

„Aber nein. Ich habe genau gemessen. Das müsste passen.“

„Wo willst du es überhaupt hinstellen?“ Ich bin noch nicht überzeugt und wiege den Kopf.

„Lass das nur meine Sorge sein. Da findet sich schon ein Plätzchen.“ Er schaut mich mit bittendem Hundeblick an, so dass ich nicht widerstehen kann.

„Na dann. Wenn du es so gerne möchtest, möchte ich dir bei der Erfüllung deines Wunsches nicht im Weg stehen.“

Kaum habe ich das gesagt, klickt er auf „bestellen“. Nun heißt es Abwarten, bis das Paket kommt. Als ich es dann als Sperrgut annehmen muss, bin ich doch etwas erschreckt. Hat sich mein Lieblingsmensch vielleicht doch vermessen? So vermessen ist er sonst nicht. Ich wuchte es zusammen mit dem Auslieferungsfahrer zur Tür rein und stelle es ab. Mein Lieblingsmensch wird es nicht übersehen.

„Hurra! Es ist da!“ Das ist sein Freudenschrei, als er nach Hause kommt. „Hilfst du mir, es aufzustellen?“ Er blinzelt mich an. „Ich glaube, ich könnte deine Hilfe dabei ganz gut gebrauchen.“

„Warum nicht? Ich habe nichts zu tun, was nicht auf später verschoben werden könnte. Wo willst du es denn hin haben?“

„Komm ich zeige es dir.“ Mein Lieblingsmensch nimmt meine Hand und zieht mich dorthin, wo er es sich vorgestellt hat.

Ich überblicke die Umgebung und nicke dann. „Ja. Das könnte tatsächlich passen. Sogar zum Aufbauen haben wir noch genügend Platz.“

Er reibt sich die Hände und sagt: „Na dann. Lass uns starten. Bleib du einfach mal kurz hier. Ich muss noch was holen.“

Ich bleibe stehen und halte mich an dem Sperrgut fest. Bin wirklich sehr gespannt, wie es aussehen wird, wenn es aufgebaut ist. Der Lieblingsmensch läuft beschwingt hierhin und dorthin und kommt mit einem Cuttermesser und einem Schraubendreherset zurück.

Ein langgezogenes „Ratsch“ und die Verpackung fällt. Schnell umgreifen, damit mir der Inhalt nicht auf die Füße fällt. Und dann geht es zügig Hand in Hand. Mein Lieblingsmensch sagt an und ich reiche ihm zu. Schritt für Schritt findet so Teil für Teil seinen Platz. Hier festhalten und da anschrauben. Manche Teile brauchen einen bestimmten Winkel zueinander, der genau eingehalten wird. Staunend sehen wir, wie die Teile zu einem Ganzen werden.

Als die letzte Schraube angezogen ist, rufe ich: „Super! Ich bin begeistert!“ Und schon will ich mich auf die Sitzfläche der Bankschaukel aus Schweden niederlassen.

Da hält mich mein Lieblingsmensch zurück. „Nicht so schnell, meine holde, liebe Helferin. Da fehlt nur noch die Auflage.“ Er packt sein Werkzeug ein und verschwindet. Während er weg ist, räume ich die Verpackung weg. Als er zurück kommt, klemmt eine nette farbige Schaumstoffauflage unter seinem Arm. Zwei volle Sektgläser trägt er in der Hand.

„Wenn das kein Grund zum Feiern ist,“ sagt er und reicht mir eins der beiden Gläser. Dann lassen wir uns gemeinsam auf der Schaukel nieder.

„Prost!“ Wir schauen uns in die Augen und schubsen uns ab.

—–

Die Blognacht führt regelmäßig dazu, dass aus einem guten Impuls eine gute Geschichte wird. Vielen Dank liebe Anna, fürs Bereitstellen dieses Formats.

Ihr Atem ist flach. Dort wo Körper und Boden sich berühren piksen spitze Steine wie tausend Nadelstiche. Keine Stelle ist von stechenden Schmerzen verschont. Schwer wie Blei verschließen ihre Lider die Augen.

Das Rauschen, das sie vernimmt, kommt von weit her und wird lauter. Eine Hand berührt sie sacht.

„Steh auf!“

Die kleine Frau steht am Band der Supermarktkasse und räumt ihre Waren aus. Es ist nicht viel. Hinter ihr steht ein großer Mann, der seine Sachen nach ihr auf dem Band platziert. Nacheinander werden die Waren über die Lichtschranke gezogen. Dann nennt die Kassiererin den Betrag.

Sie macht ihre Handtasche auf und ist entsetzt. Kein Portemonnaie. Fieberhaft überlegt sie, wo das sein könnte. Sie öffnet alle Fächer und greift hinein. Nichts. Vielleicht in einer Jackentasche. Sie wurschtelt rechts und links. Nein. Auch nichts. Oder in den Hosentaschen? Sie prüft alles, findet das Portemonnaie aber nicht. Je mehr sie sucht, desto unangenehmer wird es ihr. Fieberhaft überlegt sie, was sie nun machen soll.

Die Kassiererin blickt sie ungeduldig an und aus dem Lautsprecher ertönt: „Wir öffnen eine zweite Kasse. Bitte legen Sie Ihre Waren auf das Kassenband.“ Wie in Trance registriert sie, dass die ganze Kundenschlange hinter ihr schnell an die andere Kasse wechselt. Nur der Mann bleibt stehen. Mit einem Seufzer wendet sie sich an die Kassiererin.

„Ich kann nicht bezahlen. Ich habe kein Portemonnaie bei mir.“ Schon will sie die Sachen zurücklegen, da sagt der Mann:

„Nein. Lassen Sie mich das bezahlen.“ Er reicht der Kassiererin die abgezählte Summe ihres Einkaufs.

Erleichtert verlässt sie den Supermarkt und wartet vor der Tür, bis der Mann herauskommt.

„Bitte warten Sie. Ich will Ihnen das zurückzahlen. Gleich um die Ecke bin ich zu Hause. Es wird nicht lange dauern.“

Der Mann wehrt ab. „Nein, lassen Sie das. Geben Sie den Betrag einfach jemandem, der es braucht, wenn Ihnen das sonst peinlich ist.“ Schnell geht er zu seinem Auto und fährt davon.

Dankbar geht die Frau nach Hause. Dort entnimmt sie ihrem Portemonnaie, das ganz offen auf dem Küchentisch liegt, die Summe des Betrags für ihren Einkauf. Bei Gelegenheit will sie es für jemand Bedürftigen einsetzen.

Schon am nächsten Tag sieht sie den stadtbekannten Obdachlosen. Sie erkennt ihn sofort. Ohne lange zu überlegen geht sie auf ihn zu und sagt:

„Nehmen Sie bitte das und kaufen Sie sich etwas zum Essen.“ Sie drückt ihm das Geld in die Hand und geht schnell weiter.

Überrascht ruft der Obdachlose ihr ein „Dankeschön“ hinterher. Gleich danach geht er zur nächsten Bäckerei und kauft sich Brot und Brötchen. Gerade als er damit herauskommt, rennt ein spielender Kindergartenjunge gegen seine Beine und fällt um. Der Schreck und das Geschrei ist groß. Freundlich beugt sich der Obdachlose zu dem Jungen hinunter, hilft ihm auf und streicht ihm tröstend über das Haar.

„Hier nimm das. Damit geht es dir gleich wieder besser.“ Er legt eines der Brötchen, das er eben gekauft hat, in die Hand des kleinen Jungen. Der beißt kräftig hinein. Sofort versiegen die Tränen und er läuft glücklich davon.

Ein paar Häuser weiter bleibt er jedoch wieder stehen. Ein kleiner Hund ist dort angebunden und bellt pausenlos. Der kleine Junge bricht ein Stück von seinem Brötchen ab und hält es dem Hund hin. Der Hund nimmt es dem Jungen vorsichtig aus der Hand und genießt dann, wie er gestreichelt wird. Dabei vergisst er ganz, weiter zu bellen.

Kurze Zeit später kommt eine Dame aus der Tür des Hauses.

„Oh Waldi. Das ist aber schön, dass du nicht mehr bellst.“ Dann winkt sie dem lächelnd dem kleinen Jungen zu und verschwindet um die Hausecke.

—–

Zu schön um wahr zu sein? Nein! So etwas passiert, wenn ein Mensch anfängt, an den Anderen zu denken.

Ganz herzlichen Dank an meine liebe Kollegin, die mir ihre Geschichte erzählt hat.

Ist dir so etwas auch schon einmal passiert? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

Die Anzeige der Tanzschule fällt mir sofort ins Auge. Ich will schon lange mal einen Kurs für Paare machen, aber es ist immer etwas dazwischen gekommen. Eine kurze Rücksprache mit meinem Mann bringt für mich die Überraschung, dass er ebenfalls Lust hat.

Gleich am nächsten Morgen melde ich uns an.

Huch. Bin ich aufgeregt. Was ziehe ich an? Der Kleiderschrank-Check fällt einigermaßen gut aus. Wenigstens das eine oder andere hübsche Stück hängt da noch drin. Aber wie sieht es mit den Schuhen aus? Tanzschuhe sind wichtig! Das Wichtigste überhaupt beim Tanzen. Finde ich jedenfalls.

Der Schuh-Check sieht verheerend aus. Die letzten Jahre habe ich wegen meiner Rückenschmerzen immer flache und bequeme Schuhe getragen. Meistens so lange, bis sie fast auseinander fielen. Seit der Operation geht es mir zwar sehr gut, aber neue Schuhe haben immer noch nicht zu mir gefunden. Warum? Das weiß ich schon gar nicht mehr.

Also Portemonaie einstecken und Schuhe shoppen gehen.

Ich steuere den örtlichen Discounter an. Huch. Wie hat sich die Schuhmode in den letzten paar Jahren verändert hat. Also zu meiner Jugendzeit waren noch Highheels topmodern. …

Ich stöbere durch die Reihen. Was mir gefällt, ziehe ich in meiner Größe heraus, wenn es vorhanden ist. Oha! Da kommt ein ganz hoher Stapel Schuhkartons zusammen.

Hilfe, wo finde ich ein Plätzchen zum Hinsetzen und Ausprobieren?

Ach hier. Mitten zwischen den Reihen. Ich setze mich auf den Hocker und stelle die ausgesuchten Kartons neben mich. Die alten Treter ziehe ich aus und die Probierstrümpfe über die Füße. Mit Hingabe schlüpfe ich in jedes Paar, begutachte es im Spiegel gegenüber und gehe ein paar Schritte. Die Geräusche um mich herum, die mich bisher noch gestört haben, verblassen.

Schuhpaar für Schuhpaar probiere ich. An manchem habe ich bei näherem Hinsehen was auszusetzen und stelle sie zurück. Zwischen den letzten zwei wunderbar passenden Paaren kann ich mich lange nicht entscheiden. Dann nehme ich einfach beide.

Zu Hause stelle ich sie gleich meinem Mann vor. Von dem einen Paar ist er nicht ganz huntertprozentig überzeugt. Aber das andere findet er sehr hübsch. Richtig ausgestattet steht unserem Tanzkurs jetzt nichts mehr im Weg.

—–

Und wie ist es bei dir? Hast du auch passende Tanzschuhe?

Vielen Dank an Anna, für den Impuls zur Blognacht.

Zusammen mit Eltern und Geschwister ging es dieses Mal zu einer Familienfreizeit nach Adelboden in der Schweiz. Ich war noch nicht sehr lange in die Teenagerzeit eingetreten und war zum ersten Mal verliebt. Bei einem größeren Event hatte ich ihn vor ein paar Monaten gesehen. Er war mit Gitarre auf der Bühne gestanden und hatte ein Lied gesungen. Ich war dahingeschmolzen bei seiner samtweichen Stimme. Und jetzt wusste ich, dass ich ihn bei dieser Familienfreizeit näher kennenlernen konnte. 14 Tage lang hatte ich die Chance, denn so lange würde die Freizeit dauern.

In dem großen Chalet, in dem wir unsere Zimmer bezogen, waren die Schlafräume für Jungs und Mädchen natürlich getrennt. Jungs links und Mädchen rechts. Dazwischen ein langer Flur und das Zimmer einer Aufsichtsperson. Ich schlief nicht im Schlafsaal, sondern im Familienzimmer, das ich mit Eltern und Geschwistern teilte. Es war ganz oben unter dem Dach und hatte ein Fenster bei dem man hervorragend sehen konnte, wer zur Haustür ein- und ausging. Andersherum ging das allerdings nicht.

Am Anreisetag trafen so nach und nach alle Familien ein. Die Väter fuhren mit den mehr oder weniger dicken Familienautos vor und die Mütter samt Kindern entstiegen der Beifahrertür. Als mein Schwarm einem Auto mit Stern* entstieg, stand ich gerade am Fenster im Familienzimmer, wo niemand meinen offenen, staunenden Mund sah und keiner die Schmetterlinge im Bauch bemerkte.

Eine Familie jedoch fiel auf. Da brachte der Papa seine zwei Töchter und fuhr dann wieder weg. Die größere von beiden wirkte fast wie eine Gouvernante, obwohl sie noch keine 20 Jahre alt war. Die kleinere war mir auf den ersten Blick sympathisch. Diese beiden durften in dem großen Schlafsaal ihre Betten beziehen.

Abends war Vorstellungsrunde und ich merkte mir gleich die wichtigsten Namen**. Ronald hieß er und das sympathische Mädchen mit den blaugrünen Augen in meinem Alter, war Susi. Bevor ich einschlief überlegte ich mir, wie ich am besten auf mich aufmerksam machen könnte.

Die Gelegenheit, sich besser kennen zu lernen, kam schnell. Susi sagte mir gleich am nächsten Tag ganz ungeniert, dass sie gerne etwas mit mir zusammen unternehmen wollte. Ihre Schwester sei zu alt für sie. Und zu langweilig. Von dem Moment an waren wir überall gemeinsam anzutreffen. Bei den Mahlzeiten, bei den gemeinsamen Themenstunden, bei den Wanderungen und sonstigen Ausflügen. Wir hatten uns gefunden und unsere Plappermäulchen standen nicht still.

So wusste Susi natürlich innerhalb kürzester Zeit, dass sich mein angebetener Schwarm ebenfalls auf dieser Freizeit befand. Zuerst hatte ich ein bisschen Bedenken, dass sie ihn mir ausspannen würde, aber da hatte ich mich getäuscht. Im Gegenteil. Sie hatte die wunderbarsten und absurdesten Ideen, wie sie Ronald auf mich aufmerksam machen könnte.

Da war zum Beispiel die Wanderung in die Berge. Viele Andere aus der Freizeit begleiteten uns. Und aus meiner Sicht war es nicht möglich, ungesehen mit ihm sprechen zu können. Aber Susi machte es möglich. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, aber plötzlich war ich mit Ronald alleine. Und dann brachte ich kein Wort heraus. Nur in seine himmelblauen Augen konnte ich für einen Augenblick schauen.

Zweiter Versuch: Wasserbomben werfen. Von oben aus unserem Familienzimmer aus. Der Nervenkitzel, von meinen Eltern erwischt zu werden war hoch. Doch Susi versprach, Schmiere zu stehen. Acht Luftballons hatten wir mit Wasser gefüllt und ich sollte sie nur noch zur richtigen Zeit nach unten fallen lassen, wenn er aus der Tür kam. Acht Versuche. Aber alle versemmelt. Immer kam jemand anderes aus der Tür. Und als Ronald kam, hatte ich keine Munition mehr. Ich war so enttäuscht. Aber Susi hatte noch ein paar andere Ideen.

Mein Angebetener schlief im Jungenschlafsaal und Susi wusste, dass er abends als Erster ins Zimmer ging. Also schnappten wir eine Tube Zahncreme und beschmierten die Türklinke von unten damit und zwar so, dass es ihn treffen würde. Leider wurden wir beide von jemand in ein Gespräch verwickelt und haben nie erfahren, ob es geklappt hatte.

Aber Susi hatte immer neue Geistesblitze. Ideen, um Dummheiten zu machen, gingen ihr nicht aus. Vom Zusammennähen von Ärmeln und Füßen bei den Schlafanzügen der Jungs, war ich aber nicht so ganz begeistert. Nähen war nämlich noch nie meine Stärke. Aber mit ihr zusammen hat es Spaß gemacht, auch wenn wir an diesem Nachmittag auf den gemeinsamen Ausflug verzichteten.

Als sich die Jungs am nächsten Tag über diese Ungehörigkeit lang und breit unterhielten, mussten wir uns schnell zurückziehen. Hinter einer verschlossen Tür haben wir Tränen gelacht, geprustet und uns die Bäuche gehalten.

Dann waren die 14 Tage fast zu Ende. Nur noch eine mehrstündige Fahrt auf dem Thunersee stand auf dem Programm. Fast alle Familien machten vollzählig den Ausflug mit. Irgendjemand hatte die Idee, für alle Teilnehmer der Freizeit einen Vierzeiler zu dichten und auf die Melodie von „eine Seefahrt die ist lustig…“ zu singen. Die Poeten hatten viel Spaß und als am Abend jeder sein Verschen vorgesungen bekam, war auch für mich eins dabei. Es lautete:

Blaue Augen, krauser Sinn, stecken in der Edith drin,

denn sie ist ja allezeit gern zu einem Streich bereit.

Hollahi, hollaho …

Wer hatte da wohl etwas bemerkt? Ich habe es damals mit Humor genommen und finde, dass es immer noch ein bisschen passt. Denn ganz manchmal sitzt mir auch heute noch der Schalk im Nacken.

Susi ist meine beste Freundin geblieben. Gerne kramen wir in unserer Erinnerungskiste, wenn wir uns mal wieder treffen. Für Ronald hatte ich ein bisschen Liebeskummer, als ich merkte, dass es da noch mehr Mädchen gab, die sich für ihn interessieren. Er aber ist schon sehr lange für immer aus meinem Gesichtskreis verschwunden.

—–

Hast du auch eine beste Freundin, mit der dich etwas Besonderes verbindet? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

*Mercedes

**Namen zum Schutz der Persönlichkeiten geändert.

Spiele-Nachmittag im Elternhaus. Gerade recht neu auf dem Markt war das Brettspiel „Deutschlandreise“ und bei mir stand es auf der Favoritenliste. Schon als Teenager fuhr ich gerne mit dem Finger auf der Deutschlandkarte herum und hatte mich deshalb bei der Spielewahl durchgesetzt.

Das Spielbrett lag ausgebreitet auf dem Tisch. Würfel und Spielsteine waren verteilt und die Zielfahne hatte ihren Platz gefunden. Jede von uns vier Spielerinnen hatte ihre Anzahl an Stadtkarten, Flugkarten und Ereigniskarten. Die restlichen lagen auf Stapel auf dem dafür vorgesehenen Platz auf dem Spielbrett. Auf dem Spielbrett waren etwa 200 Städte Deutschlands mit einem roten Punkt und dem entsprechenden Namen gekennzeichnet. Jedes Spielfeldviertel hatte eine andere Farbe, so dass man die Stadt, zu der man reisen sollte, schneller finden konnte.

Von jeder Farbe gab es gleich viele Karten im eigenen Stapel, so dass also jeder Spieler im Laufe des Spiels in ganz Deutschland herumgekurvt ist. Sieger war, wer als erstes seine Karten ausgespielt hatte und wieder in der Stadt ankam, die als Start und Ziel von dem Spielleiter aus dem Stapel gezogen worden war.

Zwischen den roten Punkten, die je eine Stadt markieren waren schwarze Striche, die eine Verbindung darstellten. Manche Städte, wie zum Beispiel Frankfurt am Main, hatten viele Verbindungen. Als Spieler kam man also recht leicht dort hin. Anders jedoch die Städte, die sich im Osten Deutschlands befanden. Zu dieser Zeit gab es noch zwei deutsche Staaten, aber natürlich konnte man im Spiel die erlaubten Grenzübergänge benutzen und in der DDR herumreisen.

Aber wie in der Realität, so gab es eben auch auf dem Spielbrett nur drei Grenzübergänge. Die Verbindung zwischen Plauen und Hof fehlte. Da konnte man zwar über Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) hingelangen, musste aber wieder zurück.

Der Clou an der Sache war, dass man mit direkter Augenzahl auf die nächste Stadt auf dem eigenen Stapel kommen musste. Also los geht’s. Reihum würfeln und Stadt für Stadt in Deutschland mit dem eigenen Spielstein abfahren. Mein Spielstein war weiß. Wie fast immer. Der Startstadt war heute Aachen. Also so ziemlich im Westen. Sortieren der Karten war erlaubt. Wer würde heute der Sieger im Spiel sein?

Emden, Bremen, Verden, Lüneburg, Izehoe, Bielefeld, Wolfsburg, Koblenz. … Alles Karten, die ich schon abgelegt hatte. Ich war zufrieden und legte mich ins Zeug. Zwischendurch eine Ereigniskarte ziehen oder eine Flugkarte ausspielen, wenn ich längere Verbindungsstrecken zurücklegen will.

Ab in den Südwesten. Darmstadt, Baden Baden, Rottweil, Ravensburg, Ulm, Donaueschingen. … Auch hier kam ich gut voran. Nun den Südosten abgrasen. Also mehrheitlich Bayern. Regensburg, München, Tauberbischofsheim, Würzburg, Cham, Bayreuth, Hof. … Das Spiel nahm an Geschwindigkeit zu und ich bekam über meine Mitspieler starke Konkurrenz. Jemand zog eine Ereigniskarte, auf der stand, dass man einem anderen Spieler eine extra Stadtkarte geben kann.

Uff. Ich bin der Empfänger. Ich schaute auf den Stadtnamen: Karl-Marx-Stadt.

Na denn. Auf in den Osten. Wo sind denn die Grenzübergänge? Ach, hier bei Bad Hersfeld und Eisenach. Ach und ich musste noch nach Magdeburg, Schwerin, Potsdam, Neubrandenburg, Frankfurt/Oder, Cottbus. Und dann eben Karl-Marx-Stadt.

Mist. Wenig Verbindungen. Viele Einbahnstraßen. Ich gurke rum und komme schlecht weiter. Meine Mitspieler, die zuerst im Osten Deutschlands unterwegs waren, schätzen sich glücklich und machen jetzt die Städte im Ruhrgebiet. Dort gibt es zu allen Städten viele Verbindungen. Ich aber stöhne. Endlich nur noch Karl-Marx-Stadt, und dann so schnell wie möglich nach Aachen zurück zur Zielstadt, wo die Fahne steht.

Der Würfel steht nicht mehr auf meiner Seite. Ich komme und komme nicht auf dieses Karl-Marx-Stadt. Endlich habe ich es geschafft. Aber da ist eine Mitspielerin schon fertig. Wir entscheiden weiterzuspielen, bis alle fertig sind. Nächster Spielzug, die nächste Mitspielerin ist fertig. Jetzt sind wir nur noch zu zweit. Ich beeile mich, was der Würfel hergibt. Und komme endlich wieder aus der DDR hinaus. Aber ich schaffe es nicht, bis nach Aachen. Auch die dritte Mitspielerin ist schneller.

Verloren wegen schlechter Verbindung zu Karl-Marx-Stadt.

Und das auch beim nächsten, übernächsten, überübernächsten Spiel und so weiter. Komischerweise immer, weil ich in Karl-Marx-Stadt hängen bleibe.

Eine Vorhersehung? Hängen bleiben wegen schlechter Verbindung?

Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf dieses Spiel. Es versank in der großen Kiste.

Und dann traf ich nach ungefähr 10 Jahren meinen Traummann. Ein Lieblingsmensch, zu dem eine starke Verbindung anfing zu wachsen. Ich fragte ihn, aus welcher Stadt er denn käme und erhielt zur Antwort: Chemnitz (ehemals Karl-Marx-Stadt).

War das nun zum Lachen oder zum Weinen? Ich entschied mich für das Lachen und für meinen Traummann, mit dem ich jetzt schon gefühlt unzählige Jahre eine starke Verbindung aufgebaut habe.

Nun frage ich dich. Ist das Zufall, oder vorherbestimmt? Was meinst du? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

—–

Danke an Anna, für den Impuls zur 50. Blognacht: eine starke Verbindung.

Abgelegt hat sie mich. Einfach abgelegt. Und dann den Deckel zugemacht. Was soll ich jetzt hier? Ich bin doch so schön golden! Ohne Licht glänze ich gar nicht. Ich will hier raus! Aber der Deckel ist zu. Okey. Dann gebe ich mich halt geschlagen, schicke mich in mein Schicksal und schlafe.

Zzzzzz …. Zzzzzz … (Schnarchgeräusche)

Huch. Wer weckt mich denn hier auf? Macht den Deckel wieder zu! Es blendet!

Das war wohl er. Er hat ihn auch einfach abgelegt. Hier. Neben mir. Schön. Dann bin ich ja jetzt nicht mehr alleine.

Hübsch ist er, der da neben mich gelegt wurde. Auch golden, wie ich. Mit demselben Muster.

Na, dann können wir uns ja auch unterhalten und müssen nicht vor lauter Langeweile schlafen. Jetzt, wo der Deckel wieder zu ist.

„Hallo Du. Wir sehen uns ganz schön ähnlich. Finde ich. Was meinst du?“

„Jo. So grundsätzlich schon. Ich bin nur ein bisschen größer.“

„Weißt du, warum man uns hier eingesperrt hat?“

„Nein. Keine Ahnung. Hab nur so eine Vermutung.“

„Und die wäre?“

„Wir warten auf unsere Bestimmung.“

„Haha. Und welche soll das sein? Hier in unserer Schachtel kommt unsere Schönheit ja gar nicht zur Geltung.“

„Naja. Wir werden eben noch ein wenig Geduld haben müssen.“

„Dann schlafe ich nochmal. Da vergeht die Zeit schneller.“

Zzzzzz …. Zzzzzz … (Schnarchgeräusche)

„Aufwachen! Der Deckel ist offen!“

„Hilfe! Es blendet! Und wieviel Licht da plötzlich ist!“

Eine Männerhand nimmt sie zwischen die Finger und streift sie auf den Ringfinger der schönen Frau, ganz in Weiß.

Sie nimmt ihn zwischen zwei ihrer Finger und streift ihn über den Ringfinger des schönen Mannes im blauen Anzug.

Dann verschränken sie die Hände ineinander und die Orgel im Dom fängt an zu spielen.

—–

Dieser Artikel entstand in der Schreibnacht im Dom zu Ratzeburg. Wie ging es dir beim Lesen? Hast du erkant, welcher Gegenstand es war? Schreib es mir gerne in einem Kommentar.

Eigentlich ist mein Ruhepol in mir drin. Aber es gibt Tage, da wird diese Tatsache heftigst auf die Probe gestellt. Dieser Sonntag ist einer davon.

—–

Acht Uhr. Ich liege noch im Bett, genieße die Wärme und räkele mich. Ach wie schön ist doch so ein Tag, an dem mich keine Arbeit treibt. Soll ich aufstehen, oder noch ein wenig liegen bleiben?

Ich habe noch nicht einmal Zeit, mir Gedanken zu dieser Frage zu machen, da klingelt das Handy meines Mannes, der dadurch wach wird und abhebt. Unsere Kleine ist dran. Sie war mit einer Reisebeleitung die letzen zehn Tage auf einem Kreuzfahrtschiff von Hamburg nach New York unterwegs.

„Mein Flug ist gestrichen. Ich will nach Hause? Die sind so unfreundlich. Keiner gibt mir Antwort. Hilf mir! Bitte!“ Ihre Stimme klingt schrill. Die Verbindung bricht ab.

Ich bin hellwach. Wie kann ich ihr helfen?

Erst mal gar nicht. Ich bin nämlich hier in Deutschland in einer Kleinstadt in der Nähe von Hamburg. Dort ist der Flughafen, auf dem unsere Kleine in wenigen Stunden hätte landen sollen. Aber das wird sie nicht. Können wir ihr Problem lösen?

„Erst mal den Reiseveranstalter anrufen.“ Mein Mann zückt sein Handy.

„Gute Idee. Haben wir eine Adresse?“

„Nein. Die hat ihre Reisebegleitung.“

„Hm. Das ist nicht gut. Hast du einen Kontakt zu ihrer Reisebegleitung?“

„Ja. Habe ich.“ Der Finger meines Mannes streicht schon über das offene Display.

„Versuche es doch mal“

„Ja. Mache ich ja schon. Mach mich nicht nervös.“ Streng schaut er mich an und runzelt die Stirn.

Etwas später sitzen wir beim Frühstück. Die Stimmung ziemlich tief. Mir ist noch keine schlaue Lösung eingefallen, wie man die Kleine von New York wieder nach Deutschland bringen kann. Mein Mann hat die Reisebegleitung nicht erreicht. Seine Vermutung ist, dass ihre Reisebegleitung ihn entweder weggedrückt hat, oder die Verbindung in die USA ziemlich schlecht ist. Wir haben keinerlei weitere Informationen.

Wir sitzen also hier in Deutschland und genießen unser Frühstück. So langsam kommen wir wieder zur Ruhe, aber die Unsicherheit bleibt. Da klingelt erneut das Handy.

„Wir sitzen gleich im Flug nach Berlin. Gegen 17 Uhr sind wir da. Holt sie sofort ab.“ Die Stimme ihrer Reisebegleitung klingt angefressen und säuerlich. Gleich darauf ist die Verbindung weg.

Ich ärgere mich. Warum Berlin? Der Flug sollte nach Hamburg gehen. Mein Mann hingegen schaut mich an und zieht tief die Luft ein und schaut auf die Uhr. „Dann können wir ja noch ein wenig entspannen, bevor wir wegfahren.“

„Ja. Mach das. Du musst ja nachher fahren. Bis Berlin sind es drei Stunden.“ Während ich daran denke, dass unsere Kleine bestimmt Hunger und Durst hat, wenn sie wieder da ist, mache ich ein paar Schnitten und was zum Trinken.

Mein Mann steht vom Tisch auf, lässt sich auf dem Sofa nieder und legt die Beine hoch. Kurze Zeit später höre ich seinen bekannten Schnarchton aus dem Wohnzimmer.

Wie einfach mein Mann seinen inneren Ruhepol findet, denke ich. Das müsste ich doch auch schaffen. Während ich in der Küche herumwerkle, mache ich mir den Podcast „Schokolade fürs’s Ego“ an. Mit den Stimmen von Anna und Peter komme auch ich langsam wieder zur Ruhe.

Nach einiger Zeit kommt mein Mann gut gelaunt in die Küche. „Hach. Hat mir das kurze Nickerchen gut getan! Wir können jetzt aufbrechen.“

Gesagt, getan. Auf der Fahrt nach Berlin fährt er und ich mache ein Nickerchen. Ich habe es auch nötig. Und wer weiß, was noch kommt an diesem Sonntag.

Wir sind rechtzeitig am Flughafen. Bei dem Anblick des Preises für eine Stunde im Parkhaus gerät die innere Ruhe meines Mannes gewaltig aus dem Gleichgewicht. Leider gibt es keine Alternative.

Wenig später finden wir Bereich, wo unsere Kleine mit ihrer Reisebegleitung ankommen wird. Es ist laut hier. Zu meinem eigenen Leidwesen habe ich meine Kopfhörer vergesen. Es sind so viele Menschen, so viele Sprachen und so viele Geräusche. Hilfe! Ich will meine Sonntagsruhe wieder haben!

Um mich abzulenken, schreibe ich ein wenig in meine Kladde. Ein Blick auf die Anzeigetafel verrät meinem Mann und mir, dass das Flugzeug aus New York bereits gelandet ist. Es kann also nicht mehr lange dauern.

Das Handy meines Mannes klingelt und sofort hebt er ab. Ihre Reisebegleitung ist dran.

„Wo bleibt ihr. Wir sind schon da und warten. Ich kann nicht länger bleiben. Ihr müsst sie sofort holen.“ Ähm. Wie bitte? Obwohl mein Mann keinen Lautsprecher beim Handy anhat, höre ich ihre fordernde Stimme.

Mein Mann springt auf und seine Augen gehen suchend durch die Menge. Dann läuft er ein Stück von mir weg. Ich springe gleich mit auf, denn ich will ihn in dem Gewühl nicht verlieren.

„Was ist? Ist sie da?“

Mein Mann winkt ab und läuft davon. Ich schnurstracks hinterher. Da. Er hat sie entdeckt. Die große, gefärbt blonde Reisebegleitung steht mitten in der Eingangshalle und rührt sich nicht. Unsere Kleine steht blass und fahl,wie ein verschüchterter Vogel, daneben und bewegt sich auch nicht. Das ganze Gewühl der Menschen muss irgendwie an ihnen vorbei.

Mein Mann geht auf die beiden zu und will unsere Kleine begrüßen. Da drückt sich ihre Reisebegleitung dazwischen, zieht meinen Mann an sich und drückt ihn, als wäre sie wunderwelt wie eng mit ihm. Hey. Finger weg. Das ist mein Mann! Mein Gefühl sagt mir, dass mein Ruhepol gerade ganz schön in Gefahr ist.

Bewusst wende ich der Reisebegleitung den Rücken zu und nehme unsere Kleine in den Arm. Da quetscht sich die „nettte“ Reisebegleitung zwischen uns und will mich auch umarmen. Aber nicht mit mir. Da hört der „Spaß“ auf! Ich schiebe die blond Gefärbte auf mindestens eine Armlänge von mir weg.

Sie wendet sich beleidigt ab und überschüttet gleich darauf meinen Mann mit einem Redeschwall. In New York sei alles schief gegangen, und jetzt müsse er dafür sorgen, dass der Reiseveranstalter das Geld zurück erstatten würde.

Das ist eine Frechheit, denke ich. Es ist ihre Aufgabe, sich darum zu kümmern. Es war ihre Idee, unsere Kleine auf ihrer Kreuzfahrt mitzuschleppen. Unsere Kleine ist nur ihr zuliebe mitgegangen. Ich bin sauer wegen der Dreistigkeit der blond gefärbten Reisebegleitung und mein innerer Ruhepol kommt für heute schon zum mehrfachen Male gewaltig in Gefahr.

Wenige Zeit später sitzen wir im Auto in Richtung zu Hause. Es stehen uns wieder drei Stunden Fahrt bevor. Unsere Kleine nimmt mein vorbereitetes Schnittchen und etwas zum Trinken dankbar und erleichtert an.

„Erzähle doch ein bisschen von deiner Reise,“ fordere ich sie auf.

Es ist, als würde ein Damm brechen, so purzeln die Worte aus ihr heraus. Was muss auf dieser Reise und mit dieser Reisebegleitung passiert sein, dass unsere Kleine so neben sich steht? Sie berichtet völlig aufgelöst, wie furchtbar die Reisebegleitung sich ihr gegenüber benommen hat. Mehrfach ist sie ihr gegenüber übergriffig und bevormundend gewesen und mindestens dreimal ist sie ohne ersichtlichen Grund von ihr angeschrieen worden.

Ich runzle die Stirn und denke nur, dass ich so etwas irgendwie vorausgesehen habe, seit ich diese Reisebegleitung gesehen hatte. Aber mir wollte man es nicht glauben. Wie immer. Trotzdem habe ich Mitleid mit meiner Kleinen. Sie hat diese Person die ganze zehntägige Reise lang aushalten müssen. Jeden Tag. Aus ihren Worten höre ich, dass das der blanke Horror für sie gewesen ist.

Zu Hause gibt es noch ein warmes Abendessen, was unserer Kleinen sehr gut tut.. Sie schwört sich und uns, dass sie nie wieder mit dieser Reisebegleitung unterwegs sein will. Kurze Zeit später fällt sie ins Bett und schläft erst einmal ein paar Stunden den Schlaf der Erschöpfung.

Bevor mein Mann und ich ins Bett gehen, reflektieren wir noch den Tag. Wir sind uns einig, dass unser inneren Ruhepol heute sehr häufig in Gefahr war. Gut. Dass das nicht alle Tage so ist.

Kennst du auch Situationen und Menschen, die es schaffen, deinen inneren Ruhepol in Gefahr zu bringen? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

—–

Dieser Text ist entstanden in der 48. Blognacht mit Anna.