Freudestrahlend reicht sie mir einen herrlich duftenden Frühlingsblumenstrauß, als ich ihr die Tür öffnete.

„Komm, leg ab. Hier ist die Garderobe.“ Wir treten in den Flur und gehen dann ins große Wohnzimmer, in dem ich eine nette kleine Teetafel für uns gedeckt habe.

„Wir haben uns wirklich lange nicht mehr gesehen.“ Sie setzt sich. Ich stelle den Strauß in eine Vase und dekoriere damit den Tisch.

„Stimmt. Du warst nicht mehr bei mir, seit ich umgezogen bin.“ Ich halte ihr die Kanne hin. „Tee?“

„Gerne.“ Wir zwei Frauen haben uns viel zu erzählen. Währenddessen geht ihr Blick immer wieder zum großen Fenster.

Ich wundere mich, was sie draußen wohl sieht, frage aber nicht. Sie erzählt spannend aus der Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben.

„Hast du Lust auf eine Hausführung?“, frage ich nach einer ganzen Weile. „Immerhin hast du außer unserem Wohnzimmer bis jetzt noch nichts gesehen.“

„Ja natürlich. Ich bin sehr gespannt.“

„Wir fangen am besten unten an und arbeiten uns dann so langsam nach oben.“ Ich führe sie die Treppe nach unten und öffne rechter Hand eine Tür, durch die helles Sonnenlicht flutet.

„Hier in diesem Raum hatte der Vorbesitzer einen Partykeller.“

„Wow!“ Sie zieht die Luft ein. „Auf zwei Seiten voll verspiegelt! Sieht richtig gut aus.“ Sie zieht ihre Augenbrauen nach oben.

So gehen wir im Haus von Raum zu Raum. In jedem Zimmer sieht sie durch das Fenster und zieht ihre Augenbrauen hoch. Ich wundere mich, denn jedes Mal finde ich nichts Besonderes, was es draußen zu sehen gibt.

„Auf den Dachboden müssen wir nicht gehen, oder?“

„Gibt es dort ein Fenster?“ Sie sieht mich fragend an.

„Nein. Nur eine Neonlampe. Komm. Wir trinken noch eine Tase Tee.“

Wir setzen uns wieder ins Wohnzimmer und machen es uns gemütlich. Da zieht sie wieder die Augenbrauen nach oben.

Nun traue ich mich doch, sie darauf anzusprechen.

„Sag mal, gibt es einen Grund, warum du immer deine Stirn runzelst?“

„Hm. Ich traue es mir eigentlich nicht zu sagen. Aber weil es du bist.“ Sie macht eine lange Pause und ich bin sehr gespannt, was nun kommt.

„Ich mag dich ja total gerne. Aber in deinem Haushalt sind sogar die Fenster perfekt geputzt. Auch keinen einzigen Spiegel habe ich gesehen, auf dem eine Schliere oder ein Wassertropfen gewesen wäre. Meine Fenster sehen immer dreckig aus. Du hast in allen Haushaltsdingen immer das bessere Ergebnis von uns beiden gehabt. Ich fühle mich dadurch irgendwie schlecht, weil ich das so nicht hinbekomme.“

Sie schluckt und schaut wieder aus dem Fenster. Ich hingegen platze vor Lachen laut hinaus.

„Da täuscht du dich aber gewaltig, meine Liebe. Meine Fenster putze ich nie selbst. Das macht schon immer mein Mann. Was du siehtst, ist seine Arbeit von heute vormittag. Sein Ergebnis ist das Beste.“

Sie atmet tief aus. „Puh. Da bin ich aber erleichtert. Dass ich mich so irren konnte! Darauf brauch ich noch eine Tasse Tee.“ Lächelnd hält sie mir ihre Tasse zum Nachgießen entgegen.

—–

Hast du auch einmal ein Erlebnis gehabt, an dem du das beste Ergebnis von anderen zugeschrieben bekommen hast? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

Vor noch nicht allzu langer Zeit bin ich in meinen eigenen Kreativraum umgezogen. Ich brauche meinen Schreibtisch dringend, denn hier werden 99 Prozent der Ideen, die mir im Kopf rumschwirren, in Buchstaben und Wörter verwandelt. Die Idee zu diesem Artikel wurde von Alexandra Bohlmann angestubst, die ihre Blogparade zum Thema „Zeige deinen Schreibtisch“ gestartet hat. Auch diese Idee wird natürlich an meinem Schreibtisch umgesetzt.

Mein Schreibtisch besteht aus einer Platte, die zwei Meter lang und ein Meter breit ist. Er steht auf zwei stabilen, höhenverstellbaren Füßen, die zwar schmal, aber fast so breit sind wie die Platte, die sie tragen müssen. Der Schreibtisch steht direkt unter dem großen Fenster, das Richtung Süden zeigt. Obwohl mehrere Nachbarhäuser und Kastanienbäume rund herum stehen, habe ich doch einen recht freien Blick in den Himmel. Ich kann gut den Wolken nachgucken und träumen, wenn es mir danach ist. Und das kann bei Blockaden und Schreibflauten durchaus öfter vorkommen.

Auf meinem Schreibtisch liegt oder steht alles, was ich so für meine Arbeit hier brauche. Direkt vor mir steht der große Bildschirm, der zur Zeit ein Foto meiner vier Töchter als Hintergrundbild hat. Es ist ein kleines Sehnsuchtsbild, denn sie sind ja alle schon groß und leben nicht mehr bei mir zu Hause. Links daneben zeigt ein kleines Foto meinen Mann und mich an unserem Hochzeitstag. Mit jedem Blick darauf denke ist: Liebe Güte, ist das schon lange her.

Der große Bildschirm ist nur ein kleiner Teil des Computer-Equipments. Tastatur, Maus, Lautsprecher und Kamera befinden sich auch auf dem Schreibtisch, samt einem Festnetz-Telefon. Auch eine Musikbox steht da, die ich gerne „Brüll-Würfell“ nenne, weil sie doch öfter mal für meine gute Musik im Einsatz ist. Und das kann durchaus auch sehr laut sein. Je nach meinem momentanen Befinden.

Der Rechner selbst, samt Drucker und Laptop mit Zubehör stehen auf einem Rollcontainer neben meinem Schreibtisch. Schreibtisch und Rollcontainer haben das gleiche, angenehm helle Holzdesign. Nur beim Rollcontainer sieht man es nicht, weil er so vollgestellt ist.

Unter meinem Schreibtisch steht ein Hocker, damit ich meine Beine drauf stellen kann. Manchmal liegt auch ein großer Gymnastikball da und ich lege meine Beine darauf hoch. Das bisschen hin- und hergewackel, das dadurch entsteht, wirkt sich positiv und beruhigend auf mich aus.

🙂

Was befindet sich sonst noch auf meinem Schreibtisch? Natürlich die oblilgatorische Sammelkiste für Bleistifte, Kulis, Schere, Anspitzer, Büroklammern und sonstiges, was ich halt so am Schreibtisch brauche, oder auch nicht. Was an Sammelsurium nicht in die Kiste passt, steht daneben. Locher und Tesa-Abroller zum Beispiel.

Und dann ist da noch die Ablagekiste, in die ich eigentlich abends immer die noch unfertigen Sachen des Tages reinpacken will. Will, schreibe ich, denn oft bleibt es beim Wille. Die unfertigen Dinge liegen dann einfach bis zum nächsten Tag auf dem Schreibtisch.

Mein Kalendertagebuch, das ich seit Jahren fülle, liegt immer offen da und zwar mit dem tagesaktuellen Datum. In diesem Buch gibt es viel Platz für verschiedene Listen, so dass ich alles beisammen habe und nicht in die Gefahr komme, mich selbst zu über-List-en.

Ich wollte hier jetzt eigentlich schreiben, dass mein persönliches Tagebuch auch da liegt. Damit wollte ich einen schönen Abschluss machen und mich selbst für meine perfekte Ordnung loben.

Aber so einfach ist es nicht. Ich hab da nämlich noch eine weiße Dose mit Deckel stehen. Und da sind – lese und staune – Süßigkeiten drin. Mal sind es Kekse, mal sind es Gummibärchen, manchmal stecken Pralinen unter dem Deckel, und so weiter und so fort. Diese Dose wird immer aufgefüllt, wenn sie leer ist. Ihr Inhalt hat mich schon über manche Müdigkeitsphase hinweg gerettet. Ob dadurch meine Texte süßer geworden sind, wage ich allerdings zu bezweifeln. Jedenfalls hat die Dose ihren festen Platz in greifbarer Nähe.

Und jetzt mal ganz ehrlich. Hand aufs Herz. Hast du auch eine weiße Dose mit Deckel auf deinem Schreibtisch? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

Wie ein Kind

Warm spüre ich die kleine Hand meiner vierjährigen Enkelin in meiner Hand. Der geschotterte Waldweg unter unseren Schuhen knirscht im Takt mit unseren Schritten. Auf einen Schritt von mir kommen drei von ihr. Ich stimme ein Kinderlied an.

Mittendrin ruft die Kleine: „Oma. Was ist das?“

Ich höre auf zu singen, bleibe stehen und lausche.

„Das ist ein Eichelhäher, der da krächzt.“

Die Kleine lauscht auch und legt ihr kleines, blondes Köpfchen in den Nacken. Ihre tiefblauen Augen schauen in die Gipfel der Bäume am Wegrand.

„Da!“ Sie zeigt in den Wald hinein und ich sehe, wie dort gerade der Eichelhäher ein Stück weiterfliegt.

Die Kleine drückt sich an meine Beine und streckt die Ärmchen hoch. Ich nehme sie auf meinen Arm. Nahe an ihrem Ohr erkläre ich leise:

„Wenn der Eichelhäher schreit, dann sind noch andere Tiere in der Nähe.“

Wenige Augenblicke später sehen wir in einiger Entfernung ein Reh über den Waldweg springen. Die Kleine ist ganz still und hält fast den Atem an.

„Oma. Hat das Angst vor uns?“ Fragend richtet sie den Blick auf mich, als das Tier verschwunden ist.

„Wahrscheinlich. Für die Waldtiere ist der Mensch ein Eindringling und ein Feind. Komm lass und umdrehen und am Waldrand auf den Spielplatz gehen.“

„Oh ja. Ich will runter, Oma.“

Ich stelle die Kleine mit ihren Füßen auf den Weg und will wieder ihr Händchen halten. Aber sie ist schnell und rennt mir davon. So schnell es meine Rückenschmerzen zulassen, folge ich ihr. Mitten auf dem Weg hat sie angehalten und sich in die Hocke gesetzt. Sie schaut still vor sich hin und betrachtet etwas.

„Oma. Was ist das?“

„Das ist eine eine Weinbergschnecke, die immer ihr Haus mit sich trägt. Schau mal. Das sind ihre Fühler.“ Ich zeige vorsichtig darauf.

Die Kleine tippt ganz langsam mit ihrem Zeigefinger auf einen der Fühler. Die Schnecke zieht die Fühler sofort ein und verkriecht sich in ihrem Haus.

„Siehst du,“ erkläre ich, „deine Finger sind für die Schnecke fremd. Sie bringt sich dann in ihrem Haus gleich in Sicherheit.“

Mein Enkelchen bleibt noch eine Weile in der Hocke sitzen und wartet, bis die Schnecke wieder aus ihrem Haus kommt.

„Mags du mit mir weitergehen bis zum Spielplatz?“

Ohne zu antworten springt sie auf und rennt noch ein Stück den geschotterten Waldweg entlang. Es dauert nicht lange, da bleibt sie wieder stehen.

„Oma, was ist das?“, fragt sie mich, als ich bei ihr bin.

Mein Blick folgt ihrem Zeigefinger, mit dem sie auf den Boden zeigt.

„Das ist eine Ameisenstraße. Schau mal, wo die alle hingehen. Siehst du dort? Da wohnen sie.“

Mein Enkeltöchterchen geht vorsichtig neben der Ameisenstraße entlang bis zu dem großen Haufen auf dem es nur so wimmelt mit roten Ameisen. Dort setzt sie sich wieder in die Hocke und beobachtet. Einige von den Ameisen kann man nicht sehen, weil sie ein großes Blatt über sich tragen.

„Schau mal. Die Ameise ist so ein kleines Tier und kann etwas tragen, was viel größer ist, als es selbst. Das können wir Menschen nicht.“

Die Kleine schaut zu mir hoch. „Aber mich kannst du doch tragen, Oma. Ich bin müde.“

„Klar. Das kann ich. Bis zum Spielplatz, ja?“

„Juchu,“ ruft sie und springt an mir hoch. Dann gehen wir singend das letzte Stück des Weges bis zu unserem Ziel.

—–

Birgit Buchmayer hat zur Blogparade aufgerufen. Das Thema war: Achtsam entspannt. Meine Methode ist dabei ganz einfach. Ich gehe mit meinem kleinen Enkeltöchterchen im Wald spazieren. Entspannt, stressfrei und müde kehren wir beide dann wieder nach Hause zurück.

„So. Der alten Hexe hab ich es jetzt mal gegeben.“ Ich war acht Jahre alt und stampfte mit dem Fuß auf den weichen Waldboden. Endlich hatte ich den Mut gefunden, dieser Frau meine Meinung zu sagen.

Die „alte Hexe“ war eine Nachbarin aus der Nebenstraße. Immer wieder ärgerte sie meine Mutter mit kleinen Feindseligkeiten. Meine Mutter hat sich aber nie gewehrt. Sie kam noch nicht mal auf die Idee dazu. In meiner Kinderseele regte sich jedoch ein großer Gerechtigkeitssinn, wenn über dieses Thema ab und zu im Familienkreis gesprochen wurde. So hatte also ich mich für meine Mutter gewehrt. Mit dem vollen Brustton der Überzeugung.

Mit eben dieser Überzeugung erzählte ich meiner Mutter davon, als ich von meinem Waldausflug wieder nach Hause kam. Ihre Reaktion traf mich deshalb wie ein Eisregen im Sommer.

„Kind! So geht das nicht! Du hast kein Recht, eine alte Frau so zu behandeln. Mit deinen acht Jahren steht dir das überhaupt nicht zu! Wenn ich das nicht tue, dann darft du das schon gar nicht machen!“

Ich verstand die Welt nicht mehr.

„Eigentlich sollte ich dich dafür über’s Knie legen. Aber das hat keinen Sinn. Du gehst jetzt zu der Frau und bittest um Verzeihung!“

Ich riss die Augen auf. „Echt? Das soll ich machen? Aber ich hab‘ doch für dich …“

„Nichts da. Ich habe dir keinen Auftrag gegeben, dass du dich für mich verstreiten sollst. Du gehst!“

Meine Mutter suchte drei große, frisch aus dem Garten gepflückte Äpfel, wusch sie und rieb sie trocken, so dass sie glänzten.

„Die nimmst du mit und gibst sie der Frau extra zu deiner Entschuldigung.“ Sie drückte mir die Äpfel in die Hand und schob mich zur Tür hinaus.

„Aber Mama. Die Frau hat doch einen großen, gefährlichen Hund. Der beißt mich bestimmt.“

„Das hättest du dir früher überlegen sollen, Fräuleinchen. Geh jetzt!“

Ich ging immer noch nicht und wehrte mich bibbernd mich allen Kräften gegen den mütterlichen Druck.

„Kann mich meine Schwester nicht begleiten? Ich hab doch Angst vor dem Hund.“

„Von mir aus. Aber dann gehst du und entschuldigst dich. Drückeberger sind feige!“

Meine Mutter rief nach der Schwester, die nicht gerade begeistert war. Hatte sie doch nichts gemacht und musste mich jetzt decken. Ärgerlich und genervt trottete sie neben mir her, bis wir am Haus der alten Frau waren.

Der Hund bellte. Wo war die Klingel? Vor lauter Angst wollte ich schon wieder davonlaufen. Aber meine Schwester hielt mich zurück.

„Du wirst doch jetzt kurz vor dem Ziel nicht kneifen wollen!?“

Da öffnete sich ein Fenster im Haus und die alte Frau schaute heraus. Leise und zitternd brachte ich meine Bitte um Verzeihung vor.

„Ist gut“, sagte sie mit krächzender Stimme. „Die Äpfel kannst du dort auf den Mauerpfosten legen. Ich hol sie später. Und jetzt geh!“

Das brauchte die Frau mir nicht zweimal zu sagen. In Riesenschritten eilte ich meiner Schwester nach, die schon wieder in Richtung zu Hause unterwegs war. Schnell holte ich sie ein.

„Ich fühle mich so erleichtert. Es ist ein riesiger Stein von meinem Herzen gefallen. Jetzt geht es mir viel besser als vorher.“ Lustig plaudernd ging ich neben meiner Schwester her, die schweigend zuhörte.

Zuhause erzählte ich meiner Mutter haarklein was sich zugetragen hatte und wie ich mich dabei gefühlt hatte.

„Um Böses zu tun braucht man keinen Mut,“ sagte sie. „Aber um Verzeihung zu zu bitten, dafür schon. Ich hoffe, dass du diese Lektion nie vergessen wirst.“

—–

Nein. Ich habe diese Lektion nie vergessen. Auch nach mehr als 50 Jahren nicht. Und Dank Esther Nogler’s Blogparade zum Thema: „Da war ich mutig“ habe ich sie aufgeschrieben.

Was meinst du dazu? War das für dich mutig?

Jetzt hat es mich doch erwischt. Die Schreibblockade! Ausgerechnet heute, wo doch Blognacht mit Anna ist.

Nie hätte ich geglaubt, dass mir das einmal passiert. Seit Wochen und Monaten schreibe ich täglich. Nicht gerade wenig. Und jetzt? Aus! Einfach aus.

Es ist ja nicht so, dass ich immer noch täglich schreibe. Tagebuch, Notizen, Geschäftsbriefe, Buchungsbestätigungen, und so weiter. Aber mir fehlt der Fluss. Dieses fließen der Gedanken, die dann in einem wunderschön lesbaren Text enden. Ein Text, der natürlich von vielen Lesern und Leserinnen gerne gelesen wird. Und selbstverständlich auch weiterempfohlen wird und bei dem es Rückmeldungen gibt.

Aber das funktioniert gerade einfach nicht. Wenn du wissen willst, wie es im Moment bei mir geht, dann setze dich doch einfach als kleines Figürchen auf meine Schulter und schaue mir zu. Gerne kannst du auch in meine Gedanken gucken und kommentieren. Wie es dir beliebt.

Ich tippe hier ein paar Zeilen, dann stocke ich. Was wollte ich gerade schreiben? Der Faden ging verloren. Nur leider ist er durchsichtig und nicht mehr zu finden, so sehr ich ihn auch suche.

Ich tippe deshalb ein wenig weiter und frag mich dann, warum ich diesen Satz gerade so geschrieben habe, wie er da steht. Die Korrekturtaste ist im Moment die von mir am häufigsten benutzte Taste. Ich vermute, sie freut sich darüber. Denn sonst brauche ich sie eher selten.

Endlich habe ich einen kleinen Text, den ich so vielleicht im Blog veröffenltichen könnte. Aber sofort steht mein innerer Kritiker auf und stellt mir die Frage, was ich damit wohl bewirken will. „Kontrolliere“, sagt er „ob du das, was du aussagen willst auch geschrieben hast.“

Und selbstverständlich höre ich auf diese Stimme und kontrolliere. Sofort. Die Muse, die gerade mal kurz um die Ecke gelinst hat, ist sofort wieder verschwunden.

Was wollte ich nochmal aussagen mit dem Text? Wo ist der rote Faden? Kommt beim Lesen Stimmung auf? Kann der Leser und die Leserin sich ein schönes Bild machen von meinem Text? Fehlt irgendwo noch etwas, was die Sache deutlich macht? Habe ich irgendwo zu viele Wörter, oder woanders etwa zu wenig?

Es ist zum „aus-der Haut-fahren“! Am liebsten würde ich mit der Faust auf den Tisch hauen und den hässlichen Kritiker zum Hochhausfenster aus dem 279. Stock werfen!

Über all der Beantwortung der Fragen zerreiße ich meinen Text und am Ende ist überhaupt nichts übrig. Apropos übrig. Von diesem Text hier ist bald auch nichts mehr übrig, weil ich andauernd daran rumdoktere. Dabei bin ich doch gar kein Arzt. Schon gar kein Textarzt. Denke ich zumindest.

Und damit ich nicht alles total kaputt mache, müsste ich hier einfach nur noch drunterschreiben, dass das der 24. Artikel ist, den ich in den Blognächten mit Anna verfasst habe. Heute sei die 45. hat sie gesagt. 24 ist mehr als die Hälfte von 45. Ist doch gut, oder? Soll ich mir jetzt auf die Schulter klopfen und den Artikel veröffentlichen, oder lieber doch einfach wieder die Korrekturtaste betätigen und alles löschen?

Eigentlich haben sich für mich die Blognächte gelohnt. Denn jeder Artikel hat auf meinen Blog eingezahlt, der somit immer ein kleines Stück gewachsen ist. Ich spreche deshalb hier die Empfehlung aus:

Komme regelmäßig alle vier Wochen zur Blognacht mit Anna. Das ist ein gutes Mittel, einfach zu schreiben und zu veröffentlichen.

„Autsch!“ Da ist mir doch die liebe Gabi auf die Füße getreten. Der Grund ist ihre Blogparade zum Thema: „Erzähl mir von deinem aktuellen Schreibprojekt“. Kaum lese ich ihre Aufforderung, schon schlagen meine Gedanken Purzelbaum. Ich muss hier nämlich gestehen, dass ich zur Zeit nicht nur an einem Schreibprojekt arbeite, sondern an mehreren. Ist mir ein bisschen peinlich, aber es ist wahr. Peinlich deshalb, weil mir eigentlich halbfertige Projekte zuwider sind. Halbfertiges macht mich unruhig und „wuschig“.

Oh. Verzeihung. „Wuschig“ ist ein Wort, das ich vielleicht erst einmal erklären sollte. Hier, bitteschön, meine Definition dazu:

— … Hm. Ist gar nicht so einfach. … —

Also: Wenn ich etwas nicht fertig habe, dann laufe ich unruhig hin und her. Zusätzlich denke ich die ganze Zeit daran rum. Es beschäftigt mich. Auch dann, wenn ich etwas anderes tue. Und natürlich sorgt das dafür, dass ich dem Projekt so bald wie möglich wieder Aufmerksamkeit schenke. Ist ja logisch, denn ich will ja, dass es fertig wird. Ist so eine Manie von mir.

Für mein großes Romanprojekt, das irgendwann einmal eine vierbändige Familiensaga aus dem 10. Jahrhundert wird, ist das ja wirklich nicht schlecht. So bleibe ich immer dran. Band 1 ist in der Überarbeitungsphase und bei Band 2 werden gerade die Figuren entwickelt. Damit es mit dem Schreiben auch wirklich weitergeht und mein Großprojekt nicht in meinen Gehirnwindungen stecken bleibt, treffe ich mich fast täglich mit meiner Online-Schreibgruppe. Das wirkt.

Mein zweites Großprojekt ist mein Blog. Seit jetzt nunmehr fünf Jahren füttere ich ihn. Und gerade jetzt, mit diesem Artikel, ist er wieder ein winzig kleines Stück gewachsen. Zu Beginn ist es mir recht schwer gefallen, an meinem Blog dranzubleiben. Damals habe ich über Unterwäsche gebloggt, weil ich ein kleines Dessous-Unternehmen hatte. In der Zwischenzeit sind die Dessous gegangen, aber der Blog ist geblieben. Jetzt macht es einfach nur Spaß, wenn ich zu allen möglichen Themen etwas schreibe. Am liebsten kleine Geschichten, die ich erlebt habe. Sehr häufig haben die auch mit lokaler Geschichte etwas zu tun. Ist ja logisch, wenn ich sie selbst erlebt habe.

Zu meinem Blog gehört natürlich auch, die entsprechende Website, die in unregelmäßigen Abständen von mir gehegt und gepflegt wird. Auch dieses Schreibprojekt will nicht vernachlässigt werden. Genausowenig wie mein Newsletter, der einmal im Monat zum Ende hin von mir verschickt wird. Das ist kein Verkaufs-Newsletter, wie die meisten seiner Sorte, sondern eher ein Freundesbrief, an dem ich ausgewählte Menschen an den persönlichen Fortschritten meiner Schreiberei teilnehmen lasse. Wenn du auch zu diesen ausgewählten Menschen gehören willst, dann trage dich doch gerne in meinen Newsletter ein.

Last but not least schreibe ich täglich in mein Journal. Das mache ich Abends, denn morgens habe ich noch nicht so viel in meinem Kopf. Der ist in der Nacht irgendwie aufgeräumt worden. Vieles hätte ich schon vergessen, wenn es nicht abends mit meinem Bleistift auf Papier gewandert wäre.

Was sonst noch auf Papier wandert, sind meine Notizen. Gleich wenn mir etwas einfällt, schreibe ich sie auf. Diese Notizen immer dem richtigen Schreibprojekt zuzuordnen, ist meine größte Herausforderung. Ordnung schaffen und den Überblick behalten ist eine wichtige Arbeit, die ich mir immer dann vornehme, wenn die Schreibtischplatte vor lauter Zetteln nicht mehr zu sehen ist.

Es ist gar nicht so einfach, mich auf ein aktuelles Schreibprojekt festzulegen. Bei mir ist alles im Fluss und geht ineinander über. Geschrieben wird jedenfalls täglich.

Ist das bei dir auch so? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

Die Gäste der großen Hochzeitsgesellschaft sortieren sich so langsam auf ihre Plätze. Es gibt keine Sitzordnung, weil es so viele sind. Nur für das Brautpaar ist ein extra Tisch vorbereitet.

Neben mir hat sich Manfred niedergelassen. Ein echter Ostfriesenjunge von „hinter dem Deich“. Groß, blond, stämmig. Ich kenne ihn schon seit vielen Jahren und mag seinen leichten Humor, wenn sich dieser ab und an mal zeigt.

Auch die Plätze gegenüber füllen sich so langsam. Das Spektrum der Sprachvarianten ist groß, das sich hier zum Fest zusammenfindet. Ich höre Dialekte aus Nord- Ost- Süd- und Westdeutschland. Herrlich. Ich mag diese Vielfalt und komme mit den anderen Gästen sehr schnell ins Gespräch.

Manfred nicht. Er ist seinem Naturell entsprechend ziemlich wortkarg. Auf dem Stuhl zurückgelehnt und die Arme über dem blauen Anzug vor der Brust verschränkt, beobachtet er. Seinen aufmerksamen Augen und gespitzten Ohren scheint nichts zu entgehen.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass sich ein Mann schräg gegenüber nun zu Manfred rüber beugt. Ich unterbreche mein eigenes Gespräch für einen Moment und höre die Frage:

„Schön, dass Sie hier sind. Wo kommen Sie denn her?“ Der schwäbische Dialekt ist unüberhörbar.

Manfreds Antwort auch. Tief und bassig antwortet er: „Ostfriesland.“

Der Schwabe schiebt eine zweite Frage nach. „Oh. Wie kommen Sie denn dann nach Deutschland?“

Manfreds Gesichtszüge verziehen sich zu einem einzigen Fragezeichen. Meines auch. Dann antwortet er klar und deutlich:

„Mit dem Auto.“

Langsam hebt er sein Glas mit Jever Pils, trinkt und lehnt sich dann mit verschränkten Armen wieder im Stuhl zurück. Jetzt sieht sein Gegenüber aus wie ein lebendiges Fragezeichen.

Mein Blick geht von Manfred zu seinem Gesprächspartner und wieder zurück. In meinem Kopf rotiert es. Soll ich mich ins Gespräch einmischen? Nein.

Lange habe ich geglaubt, dass ich mich bei Deutschlands Geografie ganz gut auskenne. Aber (Achtung Humor!) ich muss das mit dem Land irgendwie falsch verstanden haben. Jedenfalls dachte ich bisher immer, dass Deutschland, geografisch gesehen, alle diese Länder in sich vereint.

OstfriesLAND, SaarLAND, SauerLAND, Das Alte LAND, AlpenvorLAND, NeuseenLAND, HavelLAND, WeserbergLAND, VogtLAND, SchwabenLAND, RheinLAND-Pfalz, EmsLAND, HelgoLAND, UutLANDen, …

—–

Und jetzt du. Aus welchem LAND kommst du? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

Danke, liebe Anna, für den Impuls zur heutigen Blognacht.

Grenzerfahrung

Neblig beginnt der Tag. Man schreibt das Jahr 1979 und ich bin 13 Jahre alt. Als Familie machen wir seit einigen Tagen Urlaub im Fichtelgebirge.

Nach einem einfachen Frühstück in der Herberge breitet mein Papa die örtliche Straßenkarte auf dem Tisch aus.

„Hier will ich heute mit euch hinfahren.“ Sein Finger kratzt leicht auf dem etwas stabileren Papier. „Die Stadt Hof lassen wir südlich liegen. Dann nehmen wir diese Strecke. Dort gehen wir ein bisschen wandern. Wer kommt mit?“

Ich drängle mich nahe an Papa. „Ich. Ich will mit.“ Von der anderen Seite drückt sich meine jüngere Schwester ebenfalls an Papa. „Ich auch. Ich auch.“

„Zieht euch eine warme Jacke an und ordentliche Schuhe zum Wandern. In spätestens einer halben Stunde will ich los.“ Das Papier raschelt, als Papa die Straßenkarte wieder ordentlich zusammenlegt.

Meine Schwester und ich krabbeln kurze Zeit später auf den Rücksitz unseres orangefarbenen Familienautos. Dicht nebeneinander. Ganz so, wie die Eltern es meinen, wenn sie von uns beiden sagen, dass wir zusammenhalten wie Pech und Schwefel.

„So anders wie bei uns im Schwarzwald ist das hier im Fichtelgebirge auch nicht.“ Ich gebe meinen klugen Kommentar an meine Schwester weiter, die natürlich ganz meiner Meinung ist. Warum sollte sie mir auch widersprechen, wenn ich es sowieso besser wusste als sie. „Aber Urlaub ist Urlaub und da will ich alles sehen, was es zu sehen gibt.“

„Natürlich. Ich doch auch,“ meint meine Schwester.

Auf dem Fahrersitz hat Papa Platz genommen und daneben hat sich die Oma niedergelassen. Es geht los. Fahrer und Beifahrer schnallen sich an. Für uns Kinder auf dem Rücksitz ist solch eine Sicherheitsmaßnahme nicht vorgesehen.

Kurvig ist die Straße. Meine Schwester und ich wanken im Sitzen hin und her. Aber das kennen wir ja schon. Meistens halten wir uns noch nicht einmal fest, sondern gehen einfach mit. Ob die Straße nun nach links oder rechts eine Kehre macht, ist eigentlich egal. Wir zwei haben jedenfalls Spaß.

Einzelne Gesprächsfetzen von vorne kommen an unsere Ohren. „… Sackgasse …“ „… Wollen wir? …“ „… probieren …“ Meine Schwester und ich schauen zum Fenster raus. Die Straße wird enger, die Bäume stehen dichter.

Fast von einem Augenblick auf den anderen endet der Wald und der Blick wird frei. Der Wind hat den Nebel hier auf der Höhe bereits weggeblasen. Ein etwa 500 m breiter Streifen mit frischem, kräftigen Gras liegt vor uns. Er zieht sich von rechts nach links am Horizont entlang. Ein Ende ist nicht zu sehen.

Papa hält an. „So. Aussteigen. Die Straße ist hier zu Ende.“

Meine Schwester und ich schälen uns aus dem Auto raus. Kräftige Sonnenstrahlen lassen mich die Augen zukneifen, denn das kräftige Grün blendet. Außer uns ist weit und breit niemand zu sehen.

„Endlich mal wieder die Beine vertreten,“ rufe ich meiner Schwester zu, die ein kurzes Stück der Straße entlang gegangen ist und jetzt an einem Baum stehen bleibt. Gerade dort, wo die Straße abrupt endet. Der Papa und die Oma bleiben beim Auto stehen und unterhalten sich.

„Schau mal,“ sagt meine Schwester. „Da ist ein Graben. … Komisch.“

„Nun hab dich nicht so. Lass uns Fangen spielen. … Du bist.“

„Ne. Ich hab keine Lust.“

„Dann lass uns doch mal probieren, ob wir über den Graben springen können.“ Ich zubble an der Jacke meiner Schwester herum. „Komm. Das macht doch Spaß.“

„Na gut. Aber Anlauf müssen wir nehmen. Der Graben ist schon etwas breit.“

Ich bin begeistert. Endlich ist meine Schwester auf meine Idee angesprungen. „Und, wer springt als erste von uns beiden?“

Bremsen quitschen. Eine Autotür wird aufgerissen und ein fremder Mann schreit: „Stopp! Sofort zurück! Keinen Schritt weiter!“

Meine Schwester packt mich an der Jacke. Mit einem Ruck zieht sie mich zurück. Beinahe wäre ich vor Schreck in den Graben gefallen.

Aufgeregt gestikulierend kommt der Mann jetzt auf uns zu. Papa und Oma folgen. „Darf ich Sie einmal fragen, wie Sie dazu kommen, hier aufzutauchen?“ Papa schaut dem Mann fragend ins Gesicht.

„Das kann ich Ihnen gerne erklären. Aber kommen Sie bitte zuerst einmal hier einige Meter von dem Graben weg.“ Fast ungeduldig drängt und schiebt uns der Mann ein ganzes Stückchen in den Wald hinein. Dann bleibt er stehen und zeigt auf die andere Seite des so wunderschön kräftig grün leuchtenden Grabens.

„Sehen Sie dort das, was so aussieht als wäre es ein Jägerhochstand?“ Wir sehen alle neugierig in die Richtung, in die der Mann zeigt und nicken. „Das ist ein Beobachtungsposten der DDR. Dort sitzen zwei bewaffnete Grenzsoldaten. Ich bin selbständiger Handwerker und habe aus diesem Grund Funk in meinem Auto. Darüber habe ich eben vernommen, dass die beiden Männer sich darüber unterhalten haben, wer zuerst schießen soll. Der eine hat gesagt, dass er sofort schießen werde. Und zwar auf diesen Menschen, der zuerst den Graben überspringen würde.“

Ich zittere am ganzen Körper. Das wäre ich gewesen.

Papa umarmt mich und gibt auch meiner Schwester die Hand. „Lasst uns wieder wegfahren.“ Meine Schwester und ich klettern zurück auf den Rücksitz des Autos, während sich Papa mit höflichen und freundlichen Worten bei dem fremden Mann bedankt.

Und ich? Ich bin ganz still.

—–

Hattest du auch einmal ein Erlebnis, bei dem du das Gefühl hattest, dass du dein Leben ein zweites Mal geschenkt bekommen hast? Schreibe es mir doch gerne in einem Kommentar.

P.S. Danke Anna für den Impuls in der 42. Blognacht.

Notiz in der Tageszeitung:

Nagold über die Ufer getreten. Sparkasse Calw muss Geld in Sicherheit bringen.

—–

Ich saß auf einem harten Hocker an einem wuchtigen Tisch. Durch das kleine, vergitterte Fester in etwa 3 ½ Meter Höhe drang kaum Licht, obwohl es hellichter Tag war. An zwei von vier Wänden aus grauem Beton waren graubraune Jutesäcke mit der Aufschrift „Bundesbank“ bis fast zur Decke gestapelt. Dort waren Scheine drin. Das war mir bekannt. Ich fragte mich, wer das so geschickt gemacht hatte, damit die Säcke nicht herunterfielen, aber ich konnte es mir nicht vorstellen. Es gab zu viele Kandidaten, die dafür hätten verantwortlich kein können.

Mein Auftraggeber hatte mir zur diffusen Neonlampe an der Decke noch eine helle Lampe auf den Tisch gestellt. Links neben mir lagen feine Papierblättchen mit den Maßen 10 mal 10 Zentimeter in unterschiedlichen Farben. Rosa, hellblau, hellgrün und zartgelb. Direkt vor mit stand, leicht angeschrägt, die Inkiess-Kasse. Hier sollte ich das Kleingeld hineinsortieren, das rechts neben mir wild durcheinander auf einem großen Haufen lag.

Ich griff in den Haufen neben mir und sortierte. Von einem Pfennig bis zu zwei Mark war alles dabei. Wenn die Anzahl der Münzen eine bestimmte Markierung erreicht hatte, zog ich von links ein Papierblättchen mit entsprechender Aufschrift. Mit zwei Fingern nahm ich dann die Münzen aus der Inkiess-Kasse heraus und legte sie auf das Papierblättchen. Dann noch kurz richtig ausjustieren, die Ecken korrekt einknicken und in den „Fertig“-Korb legen, der auf einem Hocker neben dem meinen stand.

Vier Stunden sollte meine Schicht dauern. Dann würde ich abgelöst werden. Ich schaute auf die Uhr, die über der Tür hing. Diese war verschlossen und nur mit mehreren Zahlencodes von außen zu öffnen. Bevor ich hierher geschickt worden war, hatte ich meine Unterschrift hinterlegen müssen. Man musste doch wissen, wen man belangen konnte, wenn etwas nicht ordentlich gemacht war. Geldsache ist Vertrauenssache. Ich wollte mich als vertrauenswürdig beweisen und arbeitete gewissenhaft. Als die Konzentration nachließ, wurde ich langsamer. Es sollte mir kein Fehler passieren.

Endlich war Schichtwechsel. Von außen wurde die Tür geöffnet. Ich nahm den Korb mit meinen fertigen Kleingeldrollen und überließ den harten Hocker meiner Nachfolgerin, die ihren eigenen Korb mitgebracht hatte. Dann fiel für mich die Tür von außen ins Schloss. Im Vorraum kam mir mein Auftraggeber entgegen und nahm mir meinen Korb ab. „Sag mal Fräulein, was hast du da drin eigentlich gemacht? Geschlafen? Die Anderen machen mindestend doppelt oder dreimal so viel.“

Ich konnte und wollte nicht antworten, denn ein dicker Kloß steckte in meinem Hals. Mit gesenktem Kopf entfernte ich mich so schnell wie möglich in Richtung Toilette. Dort weinte ich mich erst mal aus und wusch meine Hände. Meine emotionale Befindlichkeit war durch das Eingesperrtsein im Tresor und der Abstrafung meines Auftraggebers nicht gerade im Gleichgewicht. Auch das Kleingeld, das ich sortieren und eingerollen musste, hatte seine Spuren hinterlassen. Durch den Schmodder des Hochwassers hatte es einen Geruch angenommen, dessen Ekligkeit ich erst nach vielem Händewaschen etwas abmildern konnte.

—–

Musstest du auch schon einmal eine Aufgabe übernehmen, die dir im wahrsten Sinne des Wortes „gestunken“ hat? Erzähle es mir doch gerne in einem Kommentar.

Veronika saß in ihrem kleinen Mansardenzimmer und hielt seinen Brief in der Hand. Durch das schräge Dachfenster hatte sie einen weiten Blick über die Stadt. Obwohl sie nicht in der Schweiz wohnte, konnte sie die hohen Berggipfel drüben auf der anderen Rheinseite sehen. Sie war gerne hier.

Ihre Gedanken gingen zurück in die Zeit vor drei Jahren. Damals war sie einfach dem Ruf ihrer Freundin gefolgt und aus der fast nördlichsten Stadt Deutschlands nach hierher gekommen. Das Reisegeld für den Zug hatte sie sich hart erspart und als sie ankam, wusste sie, dass es kein Weg mehr zurück für sie geben würde.

Dann hatte sie die gute Stelle als Sekretärin bekommen. Ihre Chefs waren nett zu ihr und an Arbeit mangelte es nicht. Durch den Verdienst hatte sie sich eine gute Summe ansparen können. Es fehlte ihr an nichts. Noch nicht mal einen Mann vermisste sie in ihrem Leben, auch wenn sie jetzt schon auf die 27 Jahre zuging. Obwohl. Das stimmte nicht ganz. Sie blickte auf den Brief in ihrer Hand. Er war von Bernhard. Ein zartes Kribbeln ging ihr durch den Bauch. „Vielleicht doch?“ Veronika war sich noch nicht sicher. Sie wollte noch ein wenig darüber nachdenken. Dann las sie den Brief.

Liebe Veronika!

Nun bin ich schon wieder einige Zeit zu Hause und bei meiner Arbeit in unserem großen Unternehmen. Du fehlst mir. Der Abschied von dir fiel mir nicht leicht, als du mich schon den zweiten Sommer von dir gehen ließest. Manchmal dachte ich schon, ich würde ein bisschen Liebe deinerseits in deinen Augen lesen, aber dann war ich mir wieder nicht sicher. Du kannst deine Gefühle so gut verbergen. Und du gehst so gerade deinen Weg. Deine Prinzipien stößt du nicht um.

Erinnerst du dich nicht auch gerne an unsere gemeinsamen Wanderungen in die Berge? Ich sehe dich noch vor mir. Groß und aufrecht gingst du neben mir her. Oft zeigtest du mir irgendetwas, was dir auffiel. Du gingst immer mit offenen Augen durch die Welt und bemerktest auch viele Kleinigkeiten. Und was du zu verschiedenen Dingen alles wusstest. Immer wieder konnte ich dein großes Allgemeinwissen bewundern, das du dir durch das viele Lesen von Fachbüchern angeeignet hattest.

Oder weißt du noch, wie ich dich überreden wollte, dass ich dich abends in deinem Zimmer besuchen durfte? Ganz leise habe ich an der Wand gekratzt, hinter der du in deinem Bett lagst. Ich wollte so gerne zu dir kommen, aber du bliebst stark und hast abgelehnt. Vor lauter Traurigkeit konnte ich an diesem Abend fast nicht einschlafen. Und am nächsten Tag war auch schon wieder der Abschiedstag gekommen, an dem ich wieder nach Hause fahren musste.

Liebe Veronika. Von dir bis zu mir ist ein langer Weg. Mit dem Zug dauert es einen ganzen Tag. Das ist so lange. Ich möchte dich gerne für immer bei mir haben. Willst du mich heiraten?

Bernhards verschnörkelte Unterschrift beendete den Brief. Veronika legte ihn wieder auf ihren Schoß und schaute in die Ferne. Es war für sie nicht einfach, eine Entscheidung zu treffen. Was würde sich alles ändern, wenn sie Bernhard heiraten würde? War sie bereit dazu? Lange hörte sie in sich hinein und wog alle Argumente gegeneinander ab. Dann fiel die Entscheidung zu seinen Gunsten.

Veronika seufzte tief. Es würde ihr schwerfallen, hier weg zu gehen. Aber es würde mit Bernhard auch gut gehen. Er war ein lieber, zuverlässiger und treuer Mann. Bei ihm würde sie es gut haben. Sie drehte sich von ihrem Dachfenster um und schaute in den Raum. Auf dem kleinen Tischchen neben ihrem Bett lag nettes Briefpapier und ein Stift. Sie würde ihm jetzt gleich ihre Antwort schreiben.

Ganz herzliche Dank an Veronika (Name geändert), dir mir die Erlaubnis gegeben hat, die Geschichte ihres Heiratsantrags aufzuschreiben.

———-

Hast du auch einen besonderen Antrag bekommen? Schreibe es mir doch gerne in einen Kommentar.