Jetzt hat es mich doch erwischt. Die Schreibblockade! Ausgerechnet heute, wo doch Blognacht mit Anna ist.

Nie hätte ich geglaubt, dass mir das einmal passiert. Seit Wochen und Monaten schreibe ich täglich. Nicht gerade wenig. Und jetzt? Aus! Einfach aus.

Es ist ja nicht so, dass ich immer noch täglich schreibe. Tagebuch, Notizen, Geschäftsbriefe, Buchungsbestätigungen, und so weiter. Aber mir fehlt der Fluss. Dieses fließen der Gedanken, die dann in einem wunderschön lesbaren Text enden. Ein Text, der natürlich von vielen Lesern und Leserinnen gerne gelesen wird. Und selbstverständlich auch weiterempfohlen wird und bei dem es Rückmeldungen gibt.

Aber das funktioniert gerade einfach nicht. Wenn du wissen willst, wie es im Moment bei mir geht, dann setze dich doch einfach als kleines Figürchen auf meine Schulter und schaue mir zu. Gerne kannst du auch in meine Gedanken gucken und kommentieren. Wie es dir beliebt.

Ich tippe hier ein paar Zeilen, dann stocke ich. Was wollte ich gerade schreiben? Der Faden ging verloren. Nur leider ist er durchsichtig und nicht mehr zu finden, so sehr ich ihn auch suche.

Ich tippe deshalb ein wenig weiter und frag mich dann, warum ich diesen Satz gerade so geschrieben habe, wie er da steht. Die Korrekturtaste ist im Moment die von mir am häufigsten benutzte Taste. Ich vermute, sie freut sich darüber. Denn sonst brauche ich sie nicht so oft.

Endlich habe ich einen kleinen Text, den ich so vielleicht im Blog veröffenltichen könnte. Aber sofort steht mein innerer Kritiker auf und stellt mir die Frage, was ich damit wohl bewirken will. „Kontrolliere“, sagt er „ob du das, was du aussagen willst auch geschrieben hast.“

Und selbstverständlich höre ich auf diese Stimme und kontrolliere. Sofort. Die Muse, die gerade mal kurz um die Ecke gelinst hat, ist sofort wieder verschwunden.

Was wollte ich nochmal aussagen mit dem Text? Wo ist der rote Faden? Kommt beim Lesen Stimmung auf? Kann der Leser und die Leserin sich ein schönes Bild machen von meinem Text? Fehlt irgendwo noch etwas, was die Sache deutlich macht? Habe ich irgendwo zu viele Wörter, oder woanders etwa zu wenig?

Es ist zum „aus-der Haut-fahren“! Am liebsten würde ich mit der Faust auf den Tisch hauen und den hässlichen Kritiker zum Hochhausfenster aus dem 279. Stock werfen!

Über all der Beantwortung der Fragen zerreiße ich meinen Text und am Ende ist überhaupt nichts übrig. Apropos übrig. Von diesem Text hier ist bald auch nichts mehr übrig, weil ich andauernd daran rumdoktere. Dabei bin ich doch gar kein Arzt. Schon gar kein Textarzt. Denke ich zumindest.

Und damit ich nicht alles total kaputt mache, müsste ich hier einfach nur noch drunterschreiben, dass das der 24. Artikel ist, den ich in den Blognächten mit Anna verfasst habe. Heute sei die 45. hat sie gesagt. 24 ist mehr als die Hälfte von 45. Ist doch gut, oder? Soll ich mir jetzt auf die Schulter klopfen und den Artikel veröffentliche, oder lieber doch einfach wieder die Korrekturtaste betätigen und alles löschen?

Eigentlich haben sich für mich die Blognächte gelohnt. Denn jeder Artikel hat auf meinen Blog eingezahlt, der somit immer ein kleines Stück gewachsen ist.Ich spreche deshalb hier die Empfehlung aus:

Komme regelmäßig alle vier Wochen zur Blognacht mit Anna. Das ist ein gutes Mittel, einfach zu schreiben und zu veröffentlichen.

Und nun sollte hier eigentlich der viel gerühmte CTA (Call to Action) kommen. Aber heute kommt keiner. Wenn du aber kommentieren willst, wie es dir so beim Schreiben geht, dann hast du natürlich selbstverständlich die Möglichkeit, dies weiter unten im Kommentarfeld zu tun.

„Autsch!“ Da ist mir doch die liebe Gabi auf die Füße getreten. Der Grund ist ihre Blogparade zum Thema: „Erzähl mir von deinem aktuellen Schreibprojekt“. Kaum lese ich ihre Aufforderung, schon schlagen meine Gedanken Purzelbaum. Ich muss hier nämlich gestehen, dass ich zur Zeit nicht nur an einem Schreibprojekt arbeite, sondern an mehreren. Ist mir ein bisschen peinlich, aber es ist wahr. Peinlich deshalb, weil mir eigentlich halbfertige Projekte zuwider sind. Halbfertiges macht mich unruhig und „wuschig“.

Oh. Verzeihung. „Wuschig“ ist ein Wort, das ich vielleicht erst einmal erklären sollte. Hier, bitteschön, meine Definition dazu:

— … Hm. Ist gar nicht so einfach. … —

Also: Wenn ich etwas nicht fertig habe, dann laufe ich unruhig hin und her. Zusätzlich denke ich die ganze Zeit daran rum. Es beschäftigt mich. Auch dann, wenn ich etwas anderes tue. Und natürlich sorgt das dafür, dass ich dem Projekt so bald wie möglich wieder Aufmerksamkeit schenke. Ist ja logisch, denn ich will ja, dass es fertig wird. Ist so eine Manie von mir.

Für mein großes Romanprojekt, das irgendwann einmal eine vierbändige Familiensaga aus dem 10. Jahrhundert wird, ist das ja wirklich nicht schlecht. So bleibe ich immer dran. Band 1 ist in der Überarbeitungsphase und bei Band 2 werden gerade die Figuren entwickelt. Damit es mit dem Schreiben auch wirklich weitergeht und mein Großprojekt nicht in meinen Gehirnwindungen stecken bleibt, treffe ich mich fast täglich mit meiner Online-Schreibgruppe. Das wirkt.

Mein zweites Großprojekt ist mein Blog. Seit jetzt nunmehr fünf Jahren füttere ich ihn. Und gerade jetzt, mit diesem Artikel, ist er wieder ein winzig kleines Stück gewachsen. Zu Beginn ist es mir recht schwer gefallen, an meinem Blog dranzubleiben. Damals habe ich über Unterwäsche gebloggt, weil ich ein kleines Dessous-Unternehmen hatte. In der Zwischenzeit sind die Dessous gegangen, aber der Blog ist geblieben. Jetzt macht es einfach nur Spaß, wenn ich zu allen möglichen Themen etwas schreibe. Am liebsten kleine Geschichten, die ich erlebt habe. Sehr häufig haben die auch mit lokaler Geschichte etwas zu tun. Ist ja logisch, wenn ich sie selbst erlebt habe.

Zu meinem Blog gehört natürlich auch, die entsprechende Website, die in unregelmäßigen Abständen von mir gehegt und gepflegt wird. Auch dieses Schreibprojekt will nicht vernachlässigt werden. Genausowenig wie mein Newsletter, der einmal im Monat zum Ende hin von mir verschickt wird. Das ist kein Verkaufs-Newsletter, wie die meisten seiner Sorte, sondern eher ein Freundesbrief, an dem ich ausgewählte Menschen an den persönlichen Fortschritten meiner Schreiberei teilnehmen lasse. Wenn du auch zu diesen ausgewählten Menschen gehören willst, dann trage dich doch gerne in meinen Newsletter ein.

Last but not least schreibe ich täglich in mein Journal. Das mache ich Abends, denn morgens habe ich noch nicht so viel in meinem Kopf. Der ist in der Nacht irgendwie aufgeräumt worden. Vieles hätte ich schon vergessen hätte, wenn es nicht abends mit meinem Bleistift auf Papier gewandert wäre.

Was sonst noch auf Papier wandert, sind meine Notizen. Gleich wenn mir etwas einfällt, schreibe ich sie auf. Diese Notizen immer dem richtigen Schreibprojekt zuzuordnen, ist meine größte Herausforderung. Ordnung schaffen und den Überblick behalten ist eine wichtige Arbeit, die ich mir immer dann vornehme, wenn die Schreibtischplatte vor lauter Zetteln nicht mehr zu sehen ist.

Es ist gar nicht so einfach, mich auf ein aktuelles Schreibprojekt festzulegen. Bei mir ist alles ist im Fluss und geht ineinander über. Geschrieben wird jedenfalls täglich.

Ist das bei dir auch so? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

Die Gäste der großen Hochzeitsgesellschaft sortieren sich so langsam auf ihre Plätze. Es gibt keine Sitzordnung, weil es so viele sind. Nur für das Brautpaar ist ein extra Tisch vorbereitet.

Neben mir hat sich Manfred niedergelassen. Ein echter Ostfriesenjunge von „hinter dem Deich“. Groß, blond, stämmig. Ich kenne ihn schon seit vielen Jahren und mag seinen leichten Humor, wenn sich dieser ab und an mal zeigt.

Auch die Plätze gegenüber füllen sich so langsam. Das Spektrum der Sprachvarianten ist groß, das sich hier zum Fest zusammenfindet. Ich höre Dialekte aus Nord- Ost- Süd- und Westdeutschland. Herrlich. Ich mag diese Vielfalt und komme mit den anderen Gästen sehr schnell ins Gespräch.

Manfred nicht. Er ist seinem Naturell entsprechend ziemlich wortkarg. Auf dem Stuhl zurückgelehnt und die Arme über dem blauen Anzug vor der Brust verschränkt, beobachtet er. Seinen aufmerksamen Augen und gespitzten Ohren scheint nichts zu entgehen.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass sich ein Mann schräg gegenüber nun zu Manfred rüber beugt. Ich unterbreche mein eigenes Gespräch für einen Moment und höre die Frage:

„Schön, dass Sie hier sind. Wo kommen Sie denn her?“ Der schwäbische Dialekt ist unüberhörbar.

Manfreds Antwort auch. Tief und bassig antwortet er: „Ostfriesland.“

Der Schwabe schiebt eine zweite Frage nach. „Oh. Wie kommen Sie denn dann nach Deutschland?“

Manfreds Gesichtszüge verziehen sich zu einem einzigen Fragezeichen. Meines auch. Dann antwortet er klar und deutlich:

„Mit dem Auto.“

Langsam hebt er sein Glas mit Jever Pils, trinkt und lehnt sich dann mit verschränkten Armen wieder im Stuhl zurück. Jetzt sieht sein Gegenüber aus wie ein lebendiges Fragezeichen.

Mein Blick geht von Manfred zu seinem Gesprächspartner und wieder zurück. In meinem Kopf rotiert es. Soll ich mich ins Gespräch einmischen? Nein.

Lange habe ich geglaubt, dass ich mich bei Deutschlands Geografie ganz gut auskenne. Aber (Achtung Humor!) ich muss das mit dem Land irgendwie falsch verstanden haben. Jedenfalls dachte ich bisher immer, dass Deutschland, geografisch gesehen, alle diese Länder in sich vereint.

OstfriesLAND, SaarLAND, SauerLAND, Das Alte LAND, AlpenvorLAND, NeuseenLAND, HavelLAND, WeserbergLAND, VogtLAND, SchwabenLAND, RheinLAND-Pfalz, EmsLAND, HelgoLAND, UutLANDen, …

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Und jetzt du. Aus welchem LAND kommst du? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

Danke, liebe Anna, für den Impuls zur heutigen Blognacht.

Grenzerfahrung

Neblig beginnt der Tag. Man schreibt das Jahr 1979 und ich bin 13 Jahre alt. Als Familie machen wir seit einigen Tagen Urlaub im Fichtelgebirge.

Nach einem einfachen Frühstück in der Herberge breitet mein Papa die örtliche Straßenkarte auf dem Tisch aus.

„Hier will ich heute mit euch hinfahren.“ Sein Finger kratzt leicht auf dem etwas stabileren Papier. „Die Stadt Hof lassen wir südlich liegen. Dann nehmen wir diese Strecke. Dort gehen wir ein bisschen wandern. Wer kommt mit?“

Ich drängle mich nahe an Papa. „Ich. Ich will mit.“ Von der anderen Seite drückt sich meine jüngere Schwester ebenfalls an Papa. „Ich auch. Ich auch.“

„Zieht euch eine warme Jacke an und ordentliche Schuhe zum Wandern. In spätestens einer halben Stunde will ich los.“ Das Papier raschelt, als Papa die Straßenkarte wieder ordentlich zusammenlegt.

Meine Schwester und ich krabbeln kurze Zeit später auf den Rücksitz unseres orangefarbenen Familienautos. Dicht nebeneinander. Ganz so, wie die Eltern es meinen, wenn sie von uns beiden sagen, dass wir zusammenhalten wie Pech und Schwefel.

„So anders wie bei uns im Schwarzwald ist das hier im Fichtelgebirge auch nicht.“ Ich gebe meinen klugen Kommentar an meine Schwester weiter, die natürlich ganz meiner Meinung ist. Warum sollte sie mir auch widersprechen, wenn ich es sowieso besser wusste als sie. „Aber Urlaub ist Urlaub und da will ich alles sehen, was es zu sehen gibt.“

„Natürlich. Ich doch auch,“ meint meine Schwester.

Auf dem Fahrersitz hat Papa Platz genommen und daneben hat sich die Oma niedergelassen. Es geht los. Fahrer und Beifahrer schnallen sich an. Für uns Kinder auf dem Rücksitz ist solch eine Sicherheitsmaßnahme nicht vorgesehen.

Kurvig ist die Straße. Meine Schwester und ich wanken im Sitzen hin und her. Aber das kennen wir ja schon. Meistens halten wir uns noch nicht einmal fest, sondern gehen einfach mit. Ob die Straße nun nach links oder rechts eine Kehre macht, ist eigentlich egal. Wir zwei haben jedenfalls Spaß.

Einzelne Gesprächsfetzen von vorne kommen an unsere Ohren. „… Sackgasse …“ „… Wollen wir? …“ „… probieren …“ Meine Schwester und ich schauen zum Fenster raus. Die Straße wird enger, die Bäume stehen dichter.

Fast von einem Augenblick auf den anderen endet der Wald und der Blick wird frei. Der Wind hat den Nebel hier auf der Höhe bereits weggeblasen. Ein etwa 500 m breiter Streifen mit frischem, kräftigen Gras liegt vor uns. Er zieht sich von rechts nach links am Horizont entlang. Ein Ende ist nicht zu sehen.

Papa hält an. „So. Aussteigen. Die Straße ist hier zu Ende.“

Meine Schwester und ich schälen uns aus dem Auto raus. Kräftige Sonnenstrahlen lassen mich die Augen zukneifen, denn das kräftige Grün blendet. Außer uns ist weit und breit niemand zu sehen.

„Endlich mal wieder die Beine vertreten,“ rufe ich meiner Schwester zu, die ein kurzes Stück der Straße entlang gegangen ist und jetzt an einem Baum stehen bleibt. Gerade dort, wo die Straße abrupt endet. Der Papa und die Oma bleiben beim Auto stehen und unterhalten sich.

„Schau mal,“ sagt meine Schwester. „Da ist ein Graben. … Komisch.“

„Nun hab dich nicht so. Lass uns Fangen spielen. … Du bist.“

„Ne. Ich hab keine Lust.“

„Dann lass uns doch mal probieren, ob wir über den Graben springen können.“ Ich zubble an der Jacke meiner Schwester herum. „Komm. Das macht doch Spaß.“

„Na gut. Aber Anlauf müssen wir nehmen. Der Graben ist schon etwas breit.“

Ich bin begeistert. Endlich ist meine Schwester auf meine Idee angesprungen. „Und, wer springt als erste von uns beiden?“

Bremsen quitschen. Eine Autotür wird aufgerissen und ein fremder Mann schreit: „Stopp! Sofort zurück! Keinen Schritt weiter!“

Meine Schwester packt mich an der Jacke. Mit einem Ruck zieht sie mich zurück. Beinahe wäre ich vor Schreck in den Graben gefallen.

Aufgeregt gestikulierend kommt der Mann jetzt auf uns zu. Papa und Oma folgen. „Darf ich Sie einmal fragen, wie Sie dazu kommen, hier aufzutauchen?“ Papa schaut dem Mann fragend ins Gesicht.

„Das kann ich Ihnen gerne erklären. Aber kommen Sie bitte zuerst einmal hier einige Meter von dem Graben weg.“ Fast ungeduldig drängt und schiebt uns der Mann ein ganzes Stückchen in den Wald hinein. Dann bleibt er stehen und zeigt auf die andere Seite des so wunderschön kräftig grün leuchtenden Grabens.

„Sehen Sie dort das, was so aussieht als wäre es ein Jägerhochstand?“ Wir sehen alle neugierig in die Richtung, in die der Mann zeigt und nicken. „Das ist ein Beobachtungsposten der DDR. Dort sitzen zwei bewaffnete Grenzsoldaten. Ich bin selbständiger Handwerker und habe aus diesem Grund Funk in meinem Auto. Darüber habe ich eben vernommen, dass die beiden Männer sich darüber unterhalten haben, wer zuerst schießen soll. Der eine hat gesagt, dass er sofort schießen werde. Und zwar auf diesen Menschen, der zuerst den Graben überspringen würde.“

Ich zittere am ganzen Körper. Das wäre ich gewesen.

Papa umarmt mich und gibt auch meiner Schwester die Hand. „Lasst uns wieder wegfahren.“ Meine Schwester und ich klettern wieder auf den Rücksitz des Autos, während sich Papa mit höflichen und freundlichen Worten bei dem fremden Mann bedankt.

Und ich? Ich bin ganz still.

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Hattest du auch einmal ein Erlebnis, bei dem du das Gefühl hattest, dass du dein Leben ein zweites Mal geschenkt bekommen hast? Schreibe es mir doch gerne in einem Kommentar.

P.S. Danke Anna für den Impuls in der 42. Blognacht.

Notiz in der Tageszeitung:

Nagold über die Ufer getreten. Sparkasse Calw muss Geld in Sicherheit bringen.

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Ich saß auf einem harten Hocker an einem wuchtigen Tisch. Durch das kleine, vergitterte Fester in etwa 3 ½ Meter Höhe drang kaum Licht, obwohl es hellichter Tag war. An zwei von vier Wänden aus grauem Beton waren graubraune Jutesäcke mit der Aufschrift „Bundesbank“ bis fast zur Decke gestapelt. Dort waren Scheine drin. Das war mir bekannt. Ich fragte mich, wer das so geschickt gemacht hatte, damit die Säcke nicht herunterfielen, aber ich konnte es mir nicht vorstellen. Es gab zu viele Kandidaten, die dafür hätten verantwortlich kein können.

Mein Auftraggeber hatte mir zur diffusen Neonlampe an der Decke noch eine helle Lampe auf den Tisch gestellt. Links neben mir lagen feine Papierblättchen mit den Maßen 10 mal 10 Zentimeter in unterschiedlichen Farben. Rosa, hellblau, hellgrün und zartgelb. Direkt vor mit stand, leicht angeschrägt, die Inkiess-Kasse. Hier sollte ich das Kleingeld hineinsortieren, das rechts neben mir wild durcheinander auf einem großen Haufen lag.

Ich griff in den Haufen neben mir und sortierte. Von einem Pfennig bis zu zwei Mark war alles dabei. Wenn die Anzahl der Münzen eine bestimmte Markierung erreicht hatte, zog ich von links ein Papierblättchen mit entsprechender Aufschrift. Mit zwei Fingern nahm ich dann die Münzen aus der Inkiess-Kasse heraus und legte sie auf das Papierblättchen. Dann noch kurz richtig ausjustieren, die Ecken korrekt einknicken und in den „Fertig“-Korb legen, der auf einem Hocker neben dem meinen stand.

Vier Stunden sollte meine Schicht dauern. Dann würde ich abgelöst werden. Ich schaute auf die Uhr, die über der Tür hing. Diese war verschlossen und nur mit mehreren Zahlencodes von außen zu öffnen. Bevor ich hierher geschickt worden war, hatte ich meine Unterschrift hinterlegen müssen. Man musste doch wissen, wen man belangen konnte, wenn etwas nicht ordentlich gemacht war. Geldsache ist Vertrauenssache. Ich wollte mich als vertrauenswürdig beweisen und arbeitete gewissenhaft. Als die Konzentration nachließ, wurde ich langsamer. Es sollte mir kein Fehler passieren.

Endlich war Schichtwechsel. Von außen wurde die Tür geöffnet. Ich nahm den Korb mit meinen fertigen Kleingeldrollen und überließ den harten Hocker meiner Nachfolgerin, die ihren eigenen Korb mitgebracht hatte. Dann fiel für mich die Tür von außen ins Schloss. Im Vorraum kam mir mein Auftraggeber entgegen und nahm mir meinen Korb ab. „Sag mal Fräulein, was hast du da drin eigentlich gemacht? Geschlafen? Die Anderen machen mindestend doppelt oder dreimal so viel.“

Ich konnte und wollte nicht antworten, denn ein dicker Kloß steckte in meinem Hals. Mit gesenktem Kopf entfernte ich mich so schnell wie möglich in Richtung Toilette. Dort weinte ich mich erst mal aus und wusch meine Hände. Meine emotionale Befindlichkeit war durch das Eingesperrtsein im Tresor und der Abstrafung meines Auftraggebers nicht gerade im Gleichgewicht. Auch das Kleingeld, das ich sortieren und eingerollen musste, hatte seine Spuren hinterlassen. Durch den Schmodder des Hochwassers hatte es einen Geruch angenommen, dessen Ekligkeit ich erst nach vielem Händewaschen etwas abmildern konnte.

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Musstest du auch schon einmal eine Aufgabe übernehmen, die dir im wahrsten Sinne des Wortes „gestunken“ hat? Erzähle es mir doch gerne in einem Kommentar.

Veronika saß in ihrem kleinen Mansardenzimmer und hielt seinen Brief in der Hand. Durch das schräge Dachfenster hatte sie einen weiten Blick über die Stadt. Obwohl sie nicht in der Schweiz wohnte, konnte sie die hohen Berggipfel drüben auf der anderen Rheinseite sehen. Sie war gerne hier.

Ihre Gedanken gingen zurück in die Zeit vor drei Jahren. Damals war sie einfach dem Ruf ihrer Freundin gefolgt und aus der fast nördlichsten Stadt Deutschlands nach hierher gekommen. Das Reisegeld für den Zug hatte sie sich hart erspart und als sie ankam, wusste sie, dass es kein Weg mehr zurück für sie geben würde.

Dann hatte sie die gute Stelle als Sekretärin bekommen. Ihre Chefs waren nett zu ihr und an Arbeit mangelte es nicht. Durch den Verdienst hatte sie sich eine gute Summe ansparen können. Es fehlte ihr an nichts. Noch nicht mal einen Mann vermisste sie in ihrem Leben, auch wenn sie jetzt schon auf die 27 Jahre zuging. Obwohl. Das stimmte nicht ganz. Sie blickte auf den Brief in ihrer Hand. Er war von Bernhard. Ein zartes Kribbeln ging ihr durch den Bauch. „Vielleicht doch?“ Veronika war sich noch nicht sicher. Sie wollte noch ein wenig darüber nachdenken. Dann las sie den Brief.

Liebe Veronika!

Nun bin ich schon wieder einige Zeit zu Hause und bei meiner Arbeit in unserem großen Unternehmen. Du fehlst mir. Der Abschied von dir fiel mir nicht leicht, als du mich schon den zweiten Sommer von dir gehen ließest. Manchmal dachte ich schon, ich würde ein bisschen Liebe deinerseits in deinen Augen lesen, aber dann war ich mir wieder nicht sicher. Du kannst deine Gefühle so gut verbergen. Und du gehst so gerade deinen Weg. Deine Prinzipien stößt du nicht um.

Erinnerst du dich nicht auch gerne an unsere gemeinsamen Wanderungen in die Berge? Ich sehe dich noch vor mir. Groß und aufrecht gingst du neben mir her. Oft zeigtest du mir irgendetwas, was dir auffiel. Du gingst immer mit offenen Augen durch die Welt und bemerktest auch viele Kleinigkeiten. Und was du zu verschiedenen Dingen alles wusstest. Immer wieder konnte ich dein großes Allgemeinwissen bewundern, das du dir durch das viele Lesen von Fachbüchern angeeignet hattest.

Oder weißt du noch, wie ich dich überreden wollte, dass ich dich abends in deinem Zimmer besuchen durfte? Ganz leise habe ich an der Wand gekratzt, hinter der du in deinem Bett lagst. Ich wollte so gerne zu dir kommen, aber du bliebst stark und hast abgelehnt. Vor lauter Traurigkeit konnte ich an diesem Abend fast nicht einschlafen. Und am nächsten Tag war auch schon wieder der Abschiedstag gekommen, an dem ich wieder nach Hause fahren musste.

Liebe Veronika. Von dir bis zu mir ist ein langer Weg. Mit dem Zug dauert es einen ganzen Tag. Das ist so lange. Ich möchte dich gerne für immer bei mir haben. Willst du mich heiraten?

Bernhards verschnörkelte Unterschrift beendete den Brief. Veronika legte ihn wieder auf ihren Schoß und schaute in die Ferne. Es war für sie nicht einfach, eine Entscheidung zu treffen. Was würde sich alles ändern, wenn sie Bernhard heiraten würde? War sie bereit dazu? Lange hörte sie in sich hinein und wog alle Argumente gegeneinander ab. Dann fiel die Entscheidung zu seinen Gunsten.

Veronika seufzte tief. Es würde ihr schwerfallen, hier weg zu gehen. Aber es würde mit Bernhard auch gut gehen. Er war ein lieber, zuverlässiger und treuer Mann. Bei ihm würde sie es gut haben. Sie drehte sich von ihrem Dachfenster um und schaute in den Raum. Auf dem kleinen Tischchen neben ihrem Bett lag nettes Briefpapier und ein Stift. Sie würde ihm jetzt gleich ihre Antwort schreiben.

Ganz herzliche Dank an Veronika (Name geändert), dir mir die Erlaubnis gegeben hat, die Geschichte ihres Heiratsantrags aufzuschreiben.

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Hast du auch einen besonderen Antrag bekommen? Schreibe es mir doch gerne in einen Kommentar.

Auto im Schnee

„Ob wir heute wohl noch Schnee bekommen?“ Ich schaue auf den mit dicken Wolken verhangenen Himmel. „Kann sein. Wir fahren ja immerhin ins Allgäu. Bis wir dort sind ist noch allerhand möglich.“

Ruhig und konzentriert sitzt mein Mann am Steuer. Die Autobahn ist wie immer am Freitagnachmittag ziemlich voll. Das Radiogeräusch plätschert leise an unseren Ohren vorbei. Nur bei den Verkehrsnachrichten hören wir genau zu. Es könnte sein, dass wir noch in einen Stau kommen. Der Boden ist kalt und langsam setzt leichter Nieselregen ein.

„Das sieht nicht gut aus.“ Mein Mann kommentiert damit einen schlingernden LKW vor uns. Ich ziehe die Luft durch die Zähne und verkrampfe meine Hände. Dann sind wir auf der linken Spur endlich an dem LKW vorbei. „Es fährt sich wie auf rohen Eiern. Es ist teilweise Bodenfrost. Am besten fahre ich doch etwas langsamer und bleibe auf der rechten Spur.“ Als er eingeschert ist, löst sich meine Verkrampfung wieder und ich atme tief aus. „Bei dem Wetter ist es nicht ganz ungefährlich unterwegs zu sein. Hoffentlich passiert uns nichts.“

Unser Auto frisst die Kilometer und wir sind froh, dass wir rechtzeitig die Winterreifen drauf gemacht haben. Es gibt doch ein kleines bisschen Sicherheit. Nach gut einer Stunde Fahrt fallen die ersten dicken, nassen Schneeflocken. Unsere bisher noch leicht dahinplätschernde Konversation wird immer weniger. Draußen ist es in der Zwischenzeit dunkel geworden.

Wenig später treibt uns ein heftiger Sturm den Schnee entgegen. Abstand zu den Fahrzeugen vor uns wird immer wichtiger. Mein Mann beherrscht souverän das Auto. Ich schaue angestrengt nach vorne, damit ich alle Hinweisschilder erkennen kann. Meiner Aufgabe als Copilotin will ich doch auf jeden Fall gerecht werden. „Noch ungefähr 20 Kilometer, dann müssen wir rausfahren.“

Erleichtert setzt mein Mann den Blinker, als es soweit ist. Jetzt ist noch einige Zeit auf der Landstraße zu fahren. Aber der Sturm heult. Und das Schneetreiben wird immer dichter. Die Anspannung von uns beiden wächst und wir wechseln kaum mehr ein Wort.

„Jetzt rechts abbiegen.“ Ich zeige mit der Hand nach vorne. Mein Mann blinkt und biegt rechts ab. Es poltert. Dann hält er ruckelig an, denn das Antiblokiersystem der Bremsen hat gegriffen. Vor ihm steht ein riesiger Traktor mit Schneepflugaufsatz. Die Scheinwerfer beleuchten unser Auto und uns wie Flutlicht. Wir schauen einander entsetzt an. „Ähm. Warum bist du jetzt schon abgebogen? Ich meinte doch erst die nächste Querstraße.“ „Dann sag das doch gleich richtig. Ich höre doch immer was du sagst.“

Da sehen wir, wie ein großer, stämmiger Mann von dem Traktor heruntersteigt und auf uns zukommt. Sehr angespannt öffnet mein Mann das Autofenster. Er rechnet mit allem. Was wir jedoch zu hören bekommen, ist: „Wenn ihr net zu mir wellat, na miasat er jetzt omdreha on aus meinera Eifahrt wieder nausfahra. Sonscht nemm i eich uf d Schippa.“ (Für Nichtschwaben übersetzt: Wenn ihr nicht zu mir wollt, dann müsst ihr jetzt umdrehen und aus meiner Einfahrt wieder rausfahren. Sonst nehme ich euch auf die Schippe.) Sprichts, dreht sich um und setzt sich wieder auf seinen hohen Traktorsitz.

Erleichtert, dass es nur das ist, und wir beide noch heil sind, legt mein Mann den Rückwärtsgang ein und fährt langsam wieder auf die Straße. „Mach das nie wieder. Ich krieg bei solchen Sachen fast einen Herzinfarkt.“ Fast will ich gekränkt sein, überlege es mir aber anders. Ich will ja nicht bei den Freunden als bockige und beleidigte Ehefrau ankommen. Und seit dieser Zeit wird das Navi bei unseren Autofahrten verwendet. Als Copilotin bin ich wohl doch etwas zu gefährlich.

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Hast du auch schon einmal eine gefährliche Situation beim Autofahren erlebt? Erzähle sie mir gerne in einem Kommentar.

Heute war wieder Blognacht mit Anna. Ich habe das gemeinsame Schreiben mit anderen Bloggern und Bloggerinnen sehr genossen. Und ohne den Impuls wäre diese Geschichte in der Versenkung meiner Erinnerungen verschwunden.

Hähnchenschlegel

Ich pfeife leise vor mich hin. Heute ist Sonntag. Unsere Flitterwochen liegen noch nicht lange zurück. In unserer ersten eigenen Wohnung ist alles neu. Es riecht alles noch so frisch. In der kleinen Kochniesche blitzt noch alles und die Küchengeräte warten auf ihren ersten Einsatz.

Für uns zwei Verliebte habe ich je einen Hähnchenschlegel besorgt. Das soll es zusammen mit Kartoffelpürree und Gemüse heute zum Mittag geben. Aus Erfahrung weiß ich, dass zeitlich die Hänchenschlegel am längsten dauern. Also einfach ein bisschen salzen und würzen und dann in den Backofen mit entsprechender Temperatur.

Aber oweia. Es gibt in der kleinen Küche keinen Backofen. Nur zwei Herdplatten und eine Mikrowelle. Wie mache ich das jetzt mit den Hähnchenschlegel? Das muss doch eigentlich genau so gehen, wie damals zu Hause im Backofen. Hmmm. Im Elternhaus gab es keine Mikrowelle, an der ich hätte lernen können, wie es geht. Egal. Sei es drum. In einer Stunde müssen die Hähnchenschlegel auch in der Mikrowelle gar sein.

Ich schalte an und pfeife weiter. Das wird schön, wenn ich als frisch gebackene Ehefrau meinem Mann das Essen servieren kann. Ich sehe es schon vor mir. Ein leckeres Hähnchenstück auf goldgelbem Kartoffelpürree und buntem Gemüse. Schließlich habe ich ja bei meiner Oma kochen gelernt und bin auf keinen Fall eine blutige Anfängerin, so wie manche andere junge Frau. So ein einfaches Gericht muss doch gut werden. Das ist schließlich nicht schwer.

Mit flinken Händen bereite ich das Gemüse zu und schaue ab und zu einmal in das Türglas der Mikrowelle. Das wird gut. Im Geiste klopfe ich mir auf die Schultern und werkle weiter. Irgendwann zieht ein komischer Geruch durch die kleine Küche. Das riecht wie fertig gegartes Hähnchen. Aber es ist doch erst maximal eine halbe Stunde vorbei. Das kann noch nicht fertig sein!

Ich hole zwei nette Servietten aus dem Schrank und fange an, den Tisch zu decken. „Du Lieber, was magst du gerne trinken? Ich bin demnächst fertig mit den Essen.“ „Egal. Mach was du willst.“ Der Liebe sitzt in der Sofaecke und liest. „Sag mal, was riecht denn da so?“ Er zieht die Nase nach oben. „Ach. Das werden die Hähnchenschlegel sein. Die sind demnächst fertig. So ungefähr in 10 Minuten. Dann können wir essen.“

„Bing“ macht die Mikrowelle und ich weiß, dass die Stunde jetzt um ist und die Hähnchenschlegel fertig sind. Ich öffne und kann erst einmal nichts erkennen. „Autsch!“ Ich ziehe meine Finger zurück. Hätte ich doch die Handschuhe zum Anfassen angezogen. Es brennt wie Feuer. Schnell unter kaltes Wasser und den Schaden so gering wie möglich halten. Dann zweiter Versuch. Ich nehme die Hähnchenschlegel aus der Mikrowelle und sehe die Bescherung. Noch nicht zu 100 Prozent schwarz, aber durch und durch hart. Nach dem Schreck der Verbrennung sitzt mir jetzt ein Kloß im Hals. So habe ich mir das nicht vorgestellt.

Ich versuche das Kartoffelpürree und das Gemüse so nett wie möglich auf den Teller zu drappieren. Geht doch. Aber die Hähnchenschlegel!? Wie sehen die aus!? Ich habe Hunger und traue mich fast nicht, die Teller auf den Tisch zu stellen. „Kommst du?“ Mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen bitte ich den Lieben zu Tisch. Er lässt nicht lange auf sich warten. Sein Blick fällt auf den gedeckten Tisch. „Wie hast du das nur gemacht?“ Sein Entsetzen ist nicht zu überhören.

Da bricht der Damm und meine Tränen rollen wie Sturzbäche über meine Wangen. Ich kann es nicht mehr sehen. Auch die Tür zum Badezimmer fast nicht, hinter der ich mich verkrieche und die ich trotzig verschließe. „Voll versemmelt!, klagt mich meine innere Stimme an. „Nichts mit perfekter Haus- und Ehefrau und so. Totale Versagerin.“ Es dauert lange, bis ich alle vorhandenen Tränen ausgeweint habe.

Der Liebe sitzt am Tisch und verspeist genüsslich was auf dem Teller ist. Alles. Bis auf die Knochen. Dann kommt er an die Badezimmertür und klopft. Ich öffne langsam und traue mich gar nicht, ihm in die Augen zu schauen. Ich kuschle mich nur an seine Brust. „Schau mal. Es ist alles aufgegessen. Und es hat ganz besonders geschmeckt. Wie hast du das nur gemacht?“

Endlich setze auch ich mich an den Tisch und sättige mich an meinem Essen. Und als das letzte Krümel in meinem Bauch ist, sind auch die missratenen Hähnchenschlegel nicht mehr so schlimm.

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Ist dir beim Kochen auch einmal ein Malheur passiert, das verheerende Folgen hatte? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.

Dieser Beitrag entstand in der Blognacht mit Anna beim gemeinsamen Schreiben mit einigen anderen Bloggern und Bloggerinnen. Vielen Dank für die nette Schreibgesellschaft.

Ferien an der Nordsee

„Soll ich auch wirklich nicht mitkommen?“ Kaum hörbar richtet die Mama ihre Frage an den Papa. Sie hat heute Migräne und der Papa möchte ihr deshalb Ruhe gönnen.

„Nein. Ich schaffe das schon.“ Er winkt seinen vier Töchtern im Alter von 9, 7, 5 und 3 Jahren und geht nach draußen. Seine Älteste zupft ihn am Ärmel und flüstert ihm etwas ins Ohr. Papa nickt und deutet auf seine Uhr. Dann zieht er leise die Tür hinter sich zu.

Draußen lärmen schon seine drei anderen Quirlinge und schubsen sich gegenseitig in Richtung Deich. Papa möchte mit den Kindern eine Wattwanderung unternehmen. Sorgfältig behält er die Kinder im Blick und folgt ihnen mit zügigen Schritten.

Schon nach kurzer Zeit stehen sie gemeinsam auf dem Deich und laufen dann dem Meer entgegen. Plötzlich fängt die Dreijährige ein mordsmäßiges Geschrei an. Sofort geht der Papa in die Hocke und fragt, was denn los sei. Aber die Kleine lässt sich erst einmal lange trösten und umarmen. Nachdem der Papa mit seinem Taschentuch die Tränen und die Nase geputzt hat, zeigt die Kleine auf ihre Füße. Ihre feinen Söckchen und weißen Lackschühchen sind patschnass und mit dicken braunen Flecken übersät.

„Ach, das ist nicht so schlimm,“ sagt der Papa und hilft der Kleinen die Schuhe und Socken ausziehen. „Dann gehst du eben barfuß.“ Als Papa sich aus seiner Position wieder erhebt, bemerkt er, dass die Fünfjährige auf eigene Faust weitergegangen ist. Sie ist jetzt nur noch als Pünktchen am Horizont zu erkennen. Papa brüllt den Namen seines Töchterchens gegen den langsam stärker werdenden Wind. Aber er wird nicht gehört.

„Geh du mit der Kleinen zurück zum Deich!“ In Papas Stimme ist ein Befehlston und das siebenjährige Töchterchen nimmt ihre kleine Schwester fest an die Hand. „Wartet dort. Die Große wird bald kommen“ Papas Finger zeigt auf ein kleines Häuschen direkt hinter dem Deich. Dann dreht er sich um und nimmt mit Riesenschritten die Spur der Fünfjährigen auf. Während er die immer voller werdenden Siele überspringt, ruft er immer wieder den Namen der kleinen Ausreißerin. Endlich scheint sie ihn zu hören.

Sie dreht sich um und kommt ihm entgegengelaufen. In ihren Augen steht ein kleines bisschen Angst und der Papa weiß nicht, ob es wegen dem steigenden Wasser ist, oder wegen seiner drohenden Strafpredigt. Aber jetzt ist keine Zeit um viel zu reden. Papa schnappt sich den kleinen Wirbelwind, setzt ihn auf seine Schultern und geht so zügig wie möglich dem Deich am Ufer entgegen.

Gott sei Dank sind die zwei anderen Mädchen dort geblieben, wo er sie hingeschickt hat. Papa ist froh. Aber was bekommt er da zu hören? Weil die Kleinste kalte Füße hatte, hat die Siebenjährige ihre Jacke ausgezogen und der Schwester die Füßchen gewärmt. Jetzt steht sie schlotternd und mit Gänsehaut in dem immer stärker werdenden, kalten Wind und jammert.

„Mir ist kalt. Ich hab Hunger.“ Von den Schultern des Papas gerade erst auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht, feixt die Fünfjährige: „Ätsch. Ich war ganz weit draußen.“ Bevor die Mädchen sich zanken können, zeigt der Papa in Richtung des Dorfes. Er sieht seine älteste Tochter kommen und hofft darauf, dass sie vielleicht zwei Jacken anhat, von denen sie eine abgeben könnte.

Glück gehabt. So wie immer, hat sich seine Älteste in Zwiebellook gekleidet. Aber sie macht ein bedenklich trauriges Gesicht. „Was ist?“ Papa fragt neugierig und bringt dadurch auch seine Älteste zum Weinen. „Ich habe den Schlüssel vergessen. Und Mama ist einkaufen gegangen, weil es ihr etwas besser ging.“

Oweia. Was ist da zu tun? Papas Stirn legt sich in tiefe Falten. Er überlegt. „Kommt. Lasst uns nun schnell zurück zu unserer Ferienunterkunft gehen. Es wird sich schon eine Lösung finden.“ In der Zwischenzeit ist der Wind zum Sturm angewachsen und Papa muss fast schreien, damit ihn seine Mädchen hören können. Diese haben sich mit hängenden Köpfen bereits auf den Weg ins Dorf gemacht.

Eine starke Windböe versucht dem Papa den Hut vom Kopf zu reißen. Aber Papa ist schneller und drückt ihn tief ins Gesicht. Nichts wie weiter, denkt er und unterstützt seinen Lauf mit den Armen. Da erhascht eine zweite Windböe Papas Hut. Der fliegt ihm eine kurze Zeit voraus und landet dann auf der schrägen Deichseite landeinwärts. Papa rennt seinem Hut hinterher. Er greift nach ihm und fühlt gleichzeitig, dass er den Halt verliert. Mit voller Wucht setzt es den Papa auf sein Hinterteil.

Stöhnend reibt er sich den Po und brummt in sich hinein, warum es wohl ausgerechnet an dieser Stelle so schmierig und glatt gewesen sein musste. Stolpernd geht er zu seinen Mädchen zurück, die in der Zwischenzeit bei ihrem Zuhause auf Zeit angekommen sind.

Dort steht die Mama in der offenen Tür. „Es hat dir wohl jemand geholfen?“ Papa schaut Mama fragend an. „Ja. Aber es wäre wohl besser gewesen, wenn jemand dir geholfen hätte.“

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Es war wieder #Blognacht mit Anna. Dieses Mal habe ich nicht direkt an diesem Abend mitgeschrieben, weil ich im Urlaub war. Aber ich habe den Impuls in mir bewegt und ihn später zu dieser Geschichte verarbeitet. Sie ist eine Erinnerung an meine Kindheit. Hast du auch eine besondere Ferienerinnerung an deine Kindheit? Schreib sie mir doch gerne in einem Kommentar.

Vögel am blauen Himmel

Er zieht die knarzende Dachbodentreppe herunter und steigt dann hinauf. Warum nisten die Vögel auch an so einer ungeschickten Stelle? Die Nachbarin sagte ihm: „Wenn Sie da nichts gegen machen, werden Sie die nicht mehr los.“ Nur hat sie ihm nicht gesagt, was er dagegen machen könne. Und wie soll er ein Nest entfernen, das zwischen Photovoltaikplatten und Dachziegeln steckt? Von außen ist nicht dran zu kommen. Eine sinnvolle Lösung ist ihm noch nicht eingefallen.

Mit einem tiefen Seufzer erklimmt er die letzte Stufe und zieht den Kopf ein. In der Mitte kann er noch gerade stehen. Wenn er aber einen Schritt nach rechts oder links macht, wird es eng. Unwillkürlich streicht er sich mit der rechten Hand über das Haar und entfernt die Spinnweben, die sich darin verfangen haben.

Tapp, tapp, tapp, tapp, tapp. Er hört sie durch die Ziegel über das Dach trippeln. Mit einem Ruck öffnet er die vordere Dachluke und schaut nach draußen. Noch nicht mal einen Meter entfernt steht sie und schaut ihn mit schwarzen Knopfaugen an. So eine Hakennase habe ich ja noch nie gesehen. Mit einer Handbewegung versucht er, sie zu verscheuchen. Da dreht sie sich um und stolziert den First entlang Richtung Gibel auf der anderen Seite.

Warte du! Er zieht den Kopf ein, schleicht an die hintere Dachluke und öffnet auch diese. Ein Blick hinaus und die Hakennase wird sichtbar. Sie sieht ihn an, dreht sich um und stolziert in die andere Richtung. Aha. Jetzt bist du wieder dort. Warte. Ich komme auch. Er geht wieder zur vorderen Dachluke. Ein Blick nach draußen und was ist dort? Die Hakennase! Na, du. Aber jetzt! Noch bevor er etwas machen kann, dreht sie sich um und nimmt ihren Weg auf dem First wieder auf.

Dieses Mal ist er schneller, denn die mit der Hakennase ist noch nicht da, als er zur hinteren Dachluke rausschaut. Wie sie ihn entdeckt dreht sie wieder um und trippelt zurück. Er auch. Nur nicht auf dem Dach, sondern darunter. Sie: umdrehen und zurücktrippeln, er: zurück zur anderen Dachluke. Es ist wie ein Spiel zwischen ihr und ihm. Die Hakennase scheint daran Spaß zu haben. Wie lange willst du mich eigentlich noch veräppeln? Er bleibt stehen und beobachtet sie. Da hebt sie den Schwanz, lässt eine Hinterlassenschaft fallen und trippelt auf der anderen Dachseite hinunter.

Weg ist sie. Zumindest für heute. Solange, bis er eine Lösung für sein Problem gefunden hat, wird es wohl so bleiben. Doch eins weiß er sicher:

Es ist besser, einen Spatz in der Hand zu haben, als eine Taube mit Hakennase auf dem Dach.

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Hast du auch schon mal ein skurriles Erlebnis mit einem Vogel gehabt? Schreib mir doch gerne einen Kommentar.