Falsch abgebogen

Auto im Schnee

„Ob wir heute wohl noch Schnee bekommen?“ Ich schaue auf den mit dicken Wolken verhangenen Himmel. „Kann sein. Wir fahren ja immerhin ins Allgäu. Bis wir dort sind ist noch allerhand möglich.“

Ruhig und konzentriert sitzt mein Mann am Steuer. Die Autobahn ist wie immer am Freitagnachmittag ziemlich voll. Das Radiogeräusch plätschert leise an unseren Ohren vorbei. Nur bei den Verkehrsnachrichten hören wir genau zu. Es könnte sein, dass wir noch in einen Stau kommen. Der Boden ist kalt und langsam setzt leichter Nieselregen ein.

„Das sieht nicht gut aus.“ Mein Mann kommentiert damit einen schlingernden LKW vor uns. Ich ziehe die Luft durch die Zähne und verkrampfe meine Hände. Dann sind wir auf der linken Spur endlich an dem LKW vorbei. „Es fährt sich wie auf rohen Eiern. Es ist teilweise Bodenfrost. Am besten fahre ich doch etwas langsamer und bleibe auf der rechten Spur.“ Als er eingeschert ist, löst sich meine Verkrampfung wieder und ich atme tief aus. „Bei dem Wetter ist es nicht ganz ungefährlich unterwegs zu sein. Hoffentlich passiert uns nichts.“

Unser Auto frisst die Kilometer und wir sind froh, dass wir rechtzeitig die Winterreifen drauf gemacht haben. Es gibt doch ein kleines bisschen Sicherheit. Nach gut einer Stunde Fahrt fallen die ersten dicken, nassen Schneeflocken. Unsere bisher noch leicht dahinplätschernde Konversation wird immer weniger. Draußen ist es in der Zwischenzeit dunkel geworden.

Wenig später treibt uns ein heftiger Sturm den Schnee entgegen. Abstand zu den Fahrzeugen vor uns wird immer wichtiger. Mein Mann beherrscht souverän das Auto. Ich schaue angestrengt nach vorne, damit ich alle Hinweisschilder erkennen kann. Meiner Aufgabe als Copilotin will ich doch auf jeden Fall gerecht werden. „Noch ungefähr 20 Kilometer, dann müssen wir rausfahren.“

Erleichtert setzt mein Mann den Blinker, als es soweit ist. Jetzt ist noch einige Zeit auf der Landstraße zu fahren. Aber der Sturm heult. Und das Schneetreiben wird immer dichter. Die Anspannung von uns beiden wächst und wir wechseln kaum mehr ein Wort.

„Jetzt rechts abbiegen.“ Ich zeige mit der Hand nach vorne. Mein Mann blinkt und biegt rechts ab. Es poltert. Dann hält er ruckelig an, denn das Antiblokiersystem der Bremsen hat gegriffen. Vor ihm steht ein riesiger Traktor mit Schneepflugaufsatz. Die Scheinwerfer beleuchten unser Auto und uns wie Flutlicht. Wir schauen einander entsetzt an. „Ähm. Warum bist du jetzt schon abgebogen? Ich meinte doch erst die nächste Querstraße.“ „Dann sag das doch gleich richtig. Ich höre doch immer was du sagst.“

Da sehen wir, wie ein großer, stämmiger Mann von dem Traktor heruntersteigt und auf uns zukommt. Sehr angespannt öffnet mein Mann das Autofenster. Er rechnet mit allem. Was wir jedoch zu hören bekommen, ist: „Wenn ihr net zu mir wellat, na miasat er jetzt omdreha on aus meinera Eifahrt wieder nausfahra. Sonscht nemm i eich uf d Schippa.“ (Für Nichtschwaben übersetzt: Wenn ihr nicht zu mir wollt, dann müsst ihr jetzt umdrehen und aus meiner Einfahrt wieder rausfahren. Sonst nehme ich euch auf die Schippe.) Sprichts, dreht sich um und setzt sich wieder auf seinen hohen Traktorsitz.

Erleichtert, dass es nur das ist, und wir beide noch heil sind, legt mein Mann den Rückwärtsgang ein und fährt langsam wieder auf die Straße. „Mach das nie wieder. Ich krieg bei solchen Sachen fast einen Herzinfarkt.“ Fast will ich gekränkt sein, überlege es mir aber anders. Ich will ja nicht bei den Freunden als bockige und beleidigte Ehefrau ankommen. Und seit dieser Zeit wird das Navi bei unseren Autofahrten verwendet. Als Copilotin bin ich wohl doch etwas zu gefährlich.

——–

Hast du auch schon einmal eine gefährliche Situation beim Autofahren erlebt? Erzähle sie mir gerne in einem Kommentar.

Heute war wieder Blognacht mit Anna. Ich habe das gemeinsame Schreiben mit anderen Bloggern und Bloggerinnen sehr genossen. Und ohne den Impuls wäre diese Geschichte in der Versenkung meiner Erinnerungen verschwunden.

6 Kommentare
  1. Sabine
    Sabine sagte:

    Hallo Edith,
    also ich hab mich beim Lesen auch ziemlich angespannt!
    Fahren im Schneegestöber mit Bodenfrost und schlingernden LKW’s vor einem, das
    klingt wirklich spannend! Bei solchen Fahrten verkrampfe ich mich grundsätzlich.
    Bin froh, dass ihr es gut geschafft habt!
    Liebe Grüße aus dem Mausloch
    Sabine

    Antworten
    • Edith Leistner
      Edith Leistner sagte:

      Liebe Sabine,

      Grüße zurück ins Mausloch. Entspann dich gerne wieder. Der nächste Winter kommt bestimmt. Und dann ist es zu Hause am schönsten.

      Edith

      Antworten
  2. Stephanie
    Stephanie sagte:

    Liebe Edith,

    ich habe deine Geschichte mit Spannung gelesen und bin erleichtert, dass euch nichts passiert ist und ihr nur einmal falsch in eine Abfahrt eingebogen seid.
    In letzter Zeit war ich oft Beifahrerin mit Navi auf dem Handy in der Hand. Diese Ansage „rechts abbiegen“ ist nicht ganz ohne. Auf dem kleinen Display nicht immer klar erkennbar, ob da nicht doch noch irgendwie ne Abbiegemöglichkeit dazwischen liegt und bei dem Schneetreiben, das ihr hattet, schon mal gar nicht.

    Liebe Grüße und bis spätestens zum nächsten gemeinsamen Bloggen
    Stephanie

    Antworten
    • Edith Leistner
      Edith Leistner sagte:

      Liebe Stephanie,

      vielen Dank für dein Verständnis. Copilot oder Beifahrer mit Navi zu sein hat schon seine Herausforderungen. Und manchmal gibt es ganz schön gefährliche Situationen dadurch. Auch solche, über die man (sprich: ich) später schreibt.

      Liebe Grüße
      Edith

      Antworten

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  1. […] Ups. Was ist denn das schon wieder? Das Navi zeigt an, dass ich auf einer grünen Wiese fahre. Bin ich hier richtig, oder soll ich auf das hören, was die Navi-Stimme sagt? Nein, ich bleibe besser auf meiner Strecke. Scheint ein neuer Autobahnabschnitt zu sein, den das Navi noch nicht kennt. […]

  2. […] Edith schreibt tatsächlich über eine Situation, in der sie wortwörtlich falsch abgebogen ist. Und das auch noch im Schneesturm: Falsch abgebogen […]

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