Eigentlich ist mein Ruhepol in mir drin. Aber es gibt Tage, da wird diese Tatsache heftigst auf die Probe gestellt. Dieser Sonntag ist einer davon.
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Acht Uhr. Ich liege noch im Bett, genieße die Wärme und räkele mich. Ach wie schön ist doch so ein Tag, an dem mich keine Arbeit treibt. Soll ich aufstehen, oder noch ein wenig liegen bleiben?
Ich habe noch nicht einmal Zeit, mir Gedanken zu dieser Frage zu machen, da klingelt das Handy meines Mannes, der dadurch wach wird und abhebt. Unsere Kleine ist dran. Sie war mit einer Reisebeleitung die letzen zehn Tage auf einem Kreuzfahrtschiff von Hamburg nach New York unterwegs.
„Mein Flug ist gestrichen. Ich will nach Hause? Die sind so unfreundlich. Keiner gibt mir Antwort. Hilf mir! Bitte!“ Ihre Stimme klingt schrill. Die Verbindung bricht ab.
Ich bin hellwach. Wie kann ich ihr helfen?
Erst mal gar nicht. Ich bin nämlich hier in Deutschland in einer Kleinstadt in der Nähe von Hamburg. Dort ist der Flughafen, auf dem unsere Kleine in wenigen Stunden hätte landen sollen. Aber das wird sie nicht. Können wir ihr Problem lösen?
„Erst mal den Reiseveranstalter anrufen.“ Mein Mann zückt sein Handy.
„Gute Idee. Haben wir eine Adresse?“
„Nein. Die hat ihre Reisebegleitung.“
„Hm. Das ist nicht gut. Hast du einen Kontakt zu ihrer Reisebegleitung?“
„Ja. Habe ich.“ Der Finger meines Mannes streicht schon über das offene Display.
„Versuche es doch mal“
„Ja. Mache ich ja schon. Mach mich nicht nervös.“ Streng schaut er mich an und runzelt die Stirn.
Etwas später sitzen wir beim Frühstück. Die Stimmung ziemlich tief. Mir ist noch keine schlaue Lösung eingefallen, wie man die Kleine von New York wieder nach Deutschland bringen kann. Mein Mann hat die Reisebegleitung nicht erreicht. Seine Vermutung ist, dass ihre Reisebegleitung ihn entweder weggedrückt hat, oder die Verbindung in die USA ziemlich schlecht ist. Wir haben keinerlei weitere Informationen.
Wir sitzen also hier in Deutschland und genießen unser Frühstück. So langsam kommen wir wieder zur Ruhe, aber die Unsicherheit bleibt. Da klingelt erneut das Handy.
„Wir sitzen gleich im Flug nach Berlin. Gegen 17 Uhr sind wir da. Holt sie sofort ab.“ Die Stimme ihrer Reisebegleitung klingt angefressen und säuerlich. Gleich darauf ist die Verbindung weg.
Ich ärgere mich. Warum Berlin? Der Flug sollte nach Hamburg gehen. Mein Mann hingegen schaut mich an und zieht tief die Luft ein und schaut auf die Uhr. „Dann können wir ja noch ein wenig entspannen, bevor wir wegfahren.“
„Ja. Mach das. Du musst ja nachher fahren. Bis Berlin sind es drei Stunden.“ Während ich daran denke, dass unsere Kleine bestimmt Hunger und Durst hat, wenn sie wieder da ist, mache ich ein paar Schnitten und was zum Trinken.
Mein Mann steht vom Tisch auf, lässt sich auf dem Sofa nieder und legt die Beine hoch. Kurze Zeit später höre ich seinen bekannten Schnarchton aus dem Wohnzimmer.
Wie einfach mein Mann seinen inneren Ruhepol findet, denke ich. Das müsste ich doch auch schaffen. Während ich in der Küche herumwerkle, mache ich mir den Podcast „Schokolade fürs’s Ego“ an. Mit den Stimmen von Anna und Peter komme auch ich langsam wieder zur Ruhe.
Nach einiger Zeit kommt mein Mann gut gelaunt in die Küche. „Hach. Hat mir das kurze Nickerchen gut getan! Wir können jetzt aufbrechen.“
Gesagt, getan. Auf der Fahrt nach Berlin fährt er und ich mache ein Nickerchen. Ich habe es auch nötig. Und wer weiß, was noch kommt an diesem Sonntag.
Wir sind rechtzeitig am Flughafen. Bei dem Anblick des Preises für eine Stunde im Parkhaus gerät die innere Ruhe meines Mannes gewaltig aus dem Gleichgewicht. Leider gibt es keine Alternative.
Wenig später finden wir Bereich, wo unsere Kleine mit ihrer Reisebegleitung ankommen wird. Es ist laut hier. Zu meinem eigenen Leidwesen habe ich meine Kopfhörer vergesen. Es sind so viele Menschen, so viele Sprachen und so viele Geräusche. Hilfe! Ich will meine Sonntagsruhe wieder haben!
Um mich abzulenken, schreibe ich ein wenig in meine Kladde. Ein Blick auf die Anzeigetafel verrät meinem Mann und mir, dass das Flugzeug aus New York bereits gelandet ist. Es kann also nicht mehr lange dauern.
Das Handy meines Mannes klingelt und sofort hebt er ab. Ihre Reisebegleitung ist dran.
„Wo bleibt ihr. Wir sind schon da und warten. Ich kann nicht länger bleiben. Ihr müsst sie sofort holen.“ Ähm. Wie bitte? Obwohl mein Mann keinen Lautsprecher beim Handy anhat, höre ich ihre fordernde Stimme.
Mein Mann springt auf und seine Augen gehen suchend durch die Menge. Dann läuft er ein Stück von mir weg. Ich springe gleich mit auf, denn ich will ihn in dem Gewühl nicht verlieren.
„Was ist? Ist sie da?“
Mein Mann winkt ab und läuft davon. Ich schnurstracks hinterher. Da. Er hat sie entdeckt. Die große, gefärbt blonde Reisebegleitung steht mitten in der Eingangshalle und rührt sich nicht. Unsere Kleine steht blass und fahl,wie ein verschüchterter Vogel, daneben und bewegt sich auch nicht. Das ganze Gewühl der Menschen muss irgendwie an ihnen vorbei.
Mein Mann geht auf die beiden zu und will unsere Kleine begrüßen. Da drückt sich ihre Reisebegleitung dazwischen, zieht meinen Mann an sich und drückt ihn, als wäre sie wunderwelt wie eng mit ihm. Hey. Finger weg. Das ist mein Mann! Mein Gefühl sagt mir, dass mein Ruhepol gerade ganz schön in Gefahr ist.
Bewusst wende ich der Reisebegleitung den Rücken zu und nehme unsere Kleine in den Arm. Da quetscht sich die „nettte“ Reisebegleitung zwischen uns und will mich auch umarmen. Aber nicht mit mir. Da hört der „Spaß“ auf! Ich schiebe die blond Gefärbte auf mindestens eine Armlänge von mir weg.
Sie wendet sich beleidigt ab und überschüttet gleich darauf meinen Mann mit einem Redeschwall. In New York sei alles schief gegangen, und jetzt müsse er dafür sorgen, dass der Reiseveranstalter das Geld zurück erstatten würde.
Das ist eine Frechheit, denke ich. Es ist ihre Aufgabe, sich darum zu kümmern. Es war ihre Idee, unsere Kleine auf ihrer Kreuzfahrt mitzuschleppen. Unsere Kleine ist nur ihr zuliebe mitgegangen. Ich bin sauer wegen der Dreistigkeit der blond gefärbten Reisebegleitung und mein innerer Ruhepol kommt für heute schon zum mehrfachen Male gewaltig in Gefahr.
Wenige Zeit später sitzen wir im Auto in Richtung zu Hause. Es stehen uns wieder drei Stunden Fahrt bevor. Unsere Kleine nimmt mein vorbereitetes Schnittchen und etwas zum Trinken dankbar und erleichtert an.
„Erzähle doch ein bisschen von deiner Reise,“ fordere ich sie auf.
Es ist, als würde ein Damm brechen, so purzeln die Worte aus ihr heraus. Was muss auf dieser Reise und mit dieser Reisebegleitung passiert sein, dass unsere Kleine so neben sich steht? Sie berichtet völlig aufgelöst, wie furchtbar die Reisebegleitung sich ihr gegenüber benommen hat. Mehrfach ist sie ihr gegenüber übergriffig und bevormundend gewesen und mindestens dreimal ist sie ohne ersichtlichen Grund von ihr angeschrieen worden.
Ich runzle die Stirn und denke nur, dass ich so etwas irgendwie vorausgesehen habe, seit ich diese Reisebegleitung gesehen hatte. Aber mir wollte man es nicht glauben. Wie immer. Trotzdem habe ich Mitleid mit meiner Kleinen. Sie hat diese Person die ganze zehntägige Reise lang aushalten müssen. Jeden Tag. Aus ihren Worten höre ich, dass das der blanke Horror für sie gewesen ist.
Zu Hause gibt es noch ein warmes Abendessen, was unserer Kleinen sehr gut tut.. Sie schwört sich und uns, dass sie nie wieder mit dieser Reisebegleitung unterwegs sein will. Kurze Zeit später fällt sie ins Bett und schläft erst einmal ein paar Stunden den Schlaf der Erschöpfung.
Bevor mein Mann und ich ins Bett gehen, reflektieren wir noch den Tag. Wir sind uns einig, dass unser inneren Ruhepol heute sehr häufig in Gefahr war. Gut. Dass das nicht alle Tage so ist.
Kennst du auch Situationen und Menschen, die es schaffen, deinen inneren Ruhepol in Gefahr zu bringen? Schreib es mir doch gerne in einem Kommentar.
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Dieser Text ist entstanden in der 48. Blognacht mit Anna.