„Merken Sie sich eins, meine Damen und Herren! Der liebe Gott weiß alles. Aber der Lehrer weiß alles besser!“
Eine tiefe, laute und bassige Stimme füllte den Vorlesungssaal. Es war der erste Tag in meiner Lehrerausbildung und ich war gespannt, was auf mich zukommen würde. Der Kopf der Dozentin ragte kaum über den Pult hinaus. Aber sie stand meinstens auch nicht dort, sondern tiegerte ständig von einer Seite auf die andere. Graue Augen unter einer dicken Hornbrille flogen ständig in Windeseile über alle Neulinge. Sie schien alles zu bemerken. Und alles besser zu wissen.
In mir kroch ein unbehagliches Gefühl nach oben und mein Bauch fing an, sich zu verkrampfen. Sollte ich gleich aufstehen und gehen? Was würde mit dieser Dozentin noch auf mich zukommen im Laufe der Ausbildung bis zur Prüfung? Ich atmete tief und sagte mir selbst: Nein Edith. Du gibst deinen Traum aus Kindertagen nicht auf. Du kannst alles lernen. Du wirst es schaffen. Und vielleicht ist ja die Dozentin gar nicht so schlimm, wie es jetzt erstmal aussieht.
Ich gab nicht auf. Ich lernte und lernte. Am meisten bei dieser Dozentin. Aber sie war schlimmer als alles, was mir bisher begegnet war. Ich strengte mich an, so gut wie ich konnte. Wie oft dachte ich „Der liebe Gott weiß doch alles. Er weiß auch, dass ich mich so sehr anstrenge. Ist es denn nicht einmal genug?“ Für die Dozentin war es aber nie genug. Sie wusste alles besser und beharrte auch mit Vehemenz darauf, dass sie recht hatte. Immer.
Irgendwann begehrte ich trotzig auf. So nicht! Nie werde ich so unterrichten, wie diese Dozentin! Ich hasste diese Anmaßung! Alles in mir wehrte sich gegen ihre herablassende Art und gegen ihren Rotstift, der mich und andere junge Lernende klein hielt.
Nicht mit mir! Es reicht! Mein Focus wird anders sein! Ich will eine liebevolle Ermutigerin sein, die das Potential der jungen Leute sieht und fördert.
Die Dozentin merkte sofort, dass ich mich nicht mehr ihrem Diktat unterwerfen wollte. Sie verstärkte ihren Druck auf mich. Immer mehr. Ich spürte ihren wohlgeliebten Satz oft am eigenen Leib. Und manchmal war ich drauf und dran, aufzuhören. So wie am ersten Tag.
Für die Prüfungsarbeit wurde sie mir dann auch als begleitende Mentorin zugeteilt. Ich brauchte eine durchheulte Nacht, bis ich mich innerlich damit abgefunden hatte. Aber es war fast die Hölle für mich. Alles was ich von mir aus brachte, wurde von ihr zerpflückt. Jede eigene Idee wurde abgelehnt. Aber ich wollte das schreiben, was mir wichtig war, und nicht ihre Gedanken in meine Prüfungsarbeit bringen. Ich wollte zeigen, dass ich als liebevolle Ermutigerin jungen Lernenden sehr wohl einen fremden Stoff beibringen konnte.
Ich habe es geschafft. Gegen ihren Willen. Und die jungen Leute liebten mich dafür. Aber sie hat mir eine Note gegeben, dass ich fast mein Lehrerexamen nicht bestanden hätte. Und später wollte auch niemand an öffentlichen Schulen eine Lehrerin mit solch einem schlechten Abschluss. Das hatte sie geschafft.
Nicht mit mir. Das habe ich mir damals im Trotz geschworen. Und deshalb hat die Dozentin es auch nie geschafft, ihre Doktrin auf mich zu übertragen. Mein Leben lang habe ich nie so unterrichtet wie sie. Auch wenn ich Lehrerin bin. Ich weiß noch längst nicht alles. Geschweige denn alles besser. Immer möchte ich auch die andere Seite sehen und in der Position der Lernenden sein.
Hast du auch einmal etwas erlebt, das dich auf Konfrontation gebracht hat? Schreib mir doch gerne einen Kommentar.