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Raus mit der Geschichte, am Elbhang,

„… und wurde zerstört.“ Das ist der letzte Teilsatz auf einem unscheinbaren Schild im Wald, das darauf hinweist, dass dort früher eine Burg gestanden hat. Bei meinem gemütlichen Spaziergang im Wald wäre ich fast darüber gestolpert. Ich bin neugierig und folge dem ausgetretenen Trampelpfad, der an dem Schild vorbei führt.

„Wow!“ Ich bin begeistert von dem was ich sehe. Vor meinem inneren Augen nämlich. Von außen ist nichts als ein viereckiger, mit Gras bewachsener Platz zu sehen. Dieser Platz ist auf einer Seite mit Holzstämmen abgesperrt auf dem ebenfalls ein Schild angebracht ist. „Vorsicht Lebensgefahr“ steht da. Baumhoch geht es direkt vor mir in die Tiefe. Dort rauscht der Strom, der gerade Hochwasser trägt. Und auf der anderen Seite des Stromes kann man bis weit ins Land hinein sehen.

Nun rattert es in meinem Gehirn. Wie im Kino läuft in mir ein Film ab, der Antworten gibt zu den Fragen, die ich mir stelle. Wer hat auf dieser Burg gewohnt, als sie zerstört wurde? Wie viele Menschen lebten da? Wer hat die Zerstörung angeordnet? Aus welchem Grund? Hat jemand dieses Desaster überlebt? Wie hat dieser Jemand den Verlust von den Menschen um sich herum verarbeitet? Was waren das für Menschen? Hatten die Partner und oder Kinder? Wie fühlten die Menschen sich kurz vor der Zerstörung? Wie haben sie gelebt?

Mein Kopfkino beantwortet Frage für Frage und formuliert eine Geschichte. Eine Geschichte zu der Geschichte, die ganz emotionslos auf diesem beiläufig am Wegrand entdeckten Schild gestanden hat. In meinem Kopf lebt sie.

Jetzt will sie raus aus meinem Kopf. Sonst platzt er. Fühlt sich jedenfalls so an.

Und dann schreibe ich. Und schreibe. Und schreibe …

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Dieser Beitrag ist entstanden im Rahmen von Annas Blogparade „Schreiben über das Schreiben.“ Schreibst du auch? Mach doch einfach bei der Blogparade mit.

Apfelblüten am Stamm

Ich klopfe an und öffne danach langsam die Tür des Zimmers. Nur wenige Schritte und ich stehe vor dem Rollstuhl der alten Dame, den jemand vor das Fenster gestellt hat. Sie hat ihre Augen fast geschlossenen und es scheint, als wäre sie mit den Gedanken in weiter Ferne.

Weil ich weiß, dass sie nicht mehr gut hören kann, spreche ich sie laut an. Da wendet sie den Kopf zu mir und sieht mich mit strahlenden Augen an. Die Falten im Gesicht sprechen davon, wie viele schlechte und gute Dinge sie in ihrem langen Leben schon durchgemacht hat. Obwohl sie fast 100 Jahre alt ist, sprühen ihre himmelblauen Augen eine Lebensenergie, die ich bisher bei sonst niemandem gesehen habe. Ich strecke ihr meine Hand entgegen um sie zu begrüßen. Sie nimmt sie mit beiden Händen und sagt mit einem glücklichen Lächeln: „Schön, dass du da bist. Ich hab dich schon vermisst.“

Ich ziehe einen Stuhl nahe an ihren Rollstuhl heran, so dass wir einander berühren können. Unsere Hände streicheln sich gegenseitig und wir sind beide glücklich. Dann fängt sie an zu erzählen.

Es sind Geschichten, über ihre Flucht im Krieg und das Kennenlernen ihrer großen Liebe, die sie später geheiratet hat. Auch von den Geburten ihrer Kinder erzählt sie und von so manchen Besonderheiten, die sie mit jedem einzelnen von ihnen erlebt hat. Zum Schluss erzählt sie noch von ihren Enkeln und Urenkelkindern. Keines bleibt unerwähnt.

Obwohl ihre Geschichten immer dieselben sind, haben sie etwas Besonderes für mich. Immer wieder betont sie, wie dankbar sie dafür ist, dass sie alles überstanden hat und immer noch am Leben sein darf. Diese Dankbarkeit scheint ihre Quelle fürs Glücklich-Sein zu sein.

Jetzt macht sie eine kleine Pause und schaut mir tief in die Augen. „Kindchen, und wie geht es dir?“ fragt sie voller Interesse und ermuntert mich mit ihrem liebevollen, zärtlichen Blick, von mir zu erzählen.

Ich mag diesen singenden Ton in ihrer Frage und wehre mich nicht gegen das „Kindchen“, auch wenn ich gar nicht ihr Kind bin. Sie gibt mir das Gefühl, dass ihr Interesse an mir echt ist. Ich kann deshalb auch die Atmosphäre der Vertrautheit und Zweisamkeit genießen. Was ich jetzt erzählen werde, das bleibt bei ihr verschlossen. Niemand wird es erfahren. Das macht mich glücklich.

Beim Verabschieden umarmen wir uns lange. Tief atme ich ihr dezentes Parfüm ein. „Sie ist einfach etwas Besonderes“, denke ich und genieße ihr leichtes Streicheln auf meinem Rücken. Bevor ich gehe gibt sie mir noch einen sanften Kuss auf die Stirn und sagt: „Komm bald wieder!“

Ein Nachmittag bei ihr geht für mich immer so schnell vorbei. Gerne besuche ich meine alte Dame. Ich weiß nicht, wie lange sie noch leben wird, aber ich werde sie gerne in Erinnerung behalten. Bei ihr habe ich immer das Gefühl, als würde ich in eine Glücksatmosphäre eintauchen.

Ich bin glücklich darüber, dass durch den Impuls von Anna in der #Blognacht diese Geschichte entstanden ist. Manchmal braucht es einfach nur einen Anstubser, um etwas fast Vergessenes wieder in die Erinnerung zu holen. Hast du auch eine Erinnerung an etwas, das dich glücklich gemacht hat? Schreib mir doch gerne einen Kommentar.