Ganz langsam senkt sich die Dämmerung über den hochsommerlichen Kiefernwald. Zusammen mit meiner Mama bewege ich mich zwischen Millionen von Heidelbeerbüschen. Die Finger sind dunkelblau und auch die Hose zeigt manchen Fleck in dieser Farbe.
Seit dem frühen Nachmittag sind wir beide hier und pflücken die kleinen, wunderbar schmeckenden Beeren. Alle wandern in die Körbchen, die Mama und ich mit einem Gürtel um dem Bauch gebunden haben. Im Wald wird keine einzige Beere gegessen. Das ist ungeschriebenes Gesetz.
Wir lieben Heidelbeeren. Und weil wir noch viele andere Menschen kennen, die Heidelbeeren genauso gerne essen wie wir, verkaufen wir die kostbare Ware. 5 DM bekommen wir je 500 g. Das schaffe ich in ungefähr einer Stunde, so mein Erfahrungswert. Und wenn die Kirchenglocke aus dem fernen Tal im Wald zu hören ist, weiß ich, dass wieder eine Stunde vorbei ist.
In der Zeit, in der wir gemeinsam pflücken, sind wir manchmal nahe beieinander. Ein anderes Mal kann es sein, dass wir ein ganzes Stück voneinander entfernt sind. Dann müssen wir uns suchen. Aber das ist gar nicht schlimm, denn wir pflücken in diesem Wald, seit ich mich erinnern kann. Ich kenne mich da aus.
Spätestens nach einer Stunde treffen wir uns an der Stelle, an der wir unsere 5-Kilo-Kiste stehen haben und vorsichtig die Beeren umfüllen. Bei dieser Aktion werden auch gleich die einzelnen Blätter aussortiert, die sich vielleicht ins Körbchen verirrt haben. Aber das ist selten. Mama und ich haben immer das Kompliment bekommen, dass wir sauber arbeiten würden.
Wenn es sich ergibt, nutze ich die Gelegenheit, mit meiner Mama über Dinge zu reden, die mich beschäftigen. Jetzt wo ich 17 Jahre alt bin, ist ein potentieller Heiratskandidat aufgetaucht. Ich schwärme Mama vor, welche guten Eigenschaften dieser junge Mann hat und möchte von ihr wissen, was sie dazu meint. Als sie mir den Spruch sagt:
Wer warten kann, kriegt auch nen Mann. Wer Gott vertraut, wird auch noch Braut,
bin ich zwar nicht begeistert, akzeptiere aber ihren Rat. Ich finde es gut, von der Lebensweisheit meiner Mama zu profitieren. Und was brauche ich mit 17 Jahren schon einen Mann? Da sind noch andere Ziele, die ich zuerst erreichen will. Eine Ausbildung machen zum Beispiel. Oder den Führerschein. Unter anderem deshalb bin ich beim Heidelbeeren pflücken so fleißig. Denn schon seit Jahren sammle ich jeden Groschen, den ich verdienen kann. Auch das Geld, das ich vom Verkauf der Heidelbeeren bekomme. Bald habe ich es beisammen.
Das Ziel vor Augen bücke ich mich weiter für jede kleine Heidelbeere. Ich weiß nicht, wie viele Körbchen ich schon voll gemacht habe. Bald kann ich wegen der zunehmenden Dämmerung nicht mehr viel sehen. Da ruft meine Mama durch den Wald: „Wo bist du? Wir sollten jetzt Schluss machen!“
Ich richte mich auf und drücke mein Kreuz durch. „Hier. Ich komme gleich.“ Schritt für Schritt gehe ich langsam auf unseren Platz zu, wo wir unsere Beeren umfüllen. Nebenbei pflücke ich noch hier und da und fülle im Körbchen die letzten Zentimeter bis zum Rand. Als ich ankomme, sehe ich Mama, deren Körbchen schon übervoll ist und das sie mit einem rotkarierten Männertaschentuch umwickelt hat.
„Na“, frage ich sie. „Hast du schon wieder ein Kipfle dran gemacht?“
„Ja. In der Kiste hat nichts mehr Platz gehabt.“ Sie lächelt. „Komm wir gehen zum Auto.“
Auf dem Weg dorthin sagt sie dankbar, wie immer: „Vergelt’s Gott für jedes Beerlein“
Dort angekommen öffnen wir unsere Gürtel und stellen ganz vorsichtig die volle Kiste und die nicht umgefüllten Körbchen ins Auto hinter den Sitz. Dort werden sie mit einer eigens dafür mitgenommenen kleinen Decke umwickelt, so dass nichts umfällt. Mama weiß um ihre kostbare Fracht und fährt entsprechend nach Hause.
Dort wird genau gewogen und in 500g-Schalen für den Verkauf umgefüllt. Das ungerade, das übrig bleibt, verspeisen wir als Belohnung. Manchmal pur mit etwas Zucker und ein Butterbrot, oder als Heidelbeerquark.
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Anita Arneitz hat zur Blogparade zum Thema Lieblingskräuter & Kräutergeschichten eingeladen. Das Thema hat mich zu dieser Geschichte inspiriert. Denn obwohl die Heidelbeere nicht zu den Kräutern zählt, so hat auch sie eine entzündungshemmende und verdauungsfördernde Heilkraft, von der man nur durch den Genuss derselben profitieren kann.
Gerne teile ich dazu auch mein Rezept von Heidelbeerquark. Es ist eine herrlich erfrischende Kaltspeise an heißen Sommertagen.
500 g Magerquark
ca. 100 ml fettreduzierte Milch
1 Päckchen Vanilliezucker
→ zu einer glatten Masse verrühren
400 g Waldheidelbeeren in ein Sieb füllen,
mit kochendem Wasser kurz übergießen,
abtropfen lassen,
→ in die Quarkmasse geben
und vorsichtig mit einem Löffel einrühren.
Guten Appetit