Ich kann Berge versetzen
„Ich hab keinen Bock!“
Mein zwölfjähriges Töchterchen stampft mit dem Fuß. Mit verschränkten Armen und vorgeschobener Unterlippe bleibt sie in der offenen Tür zu unserem Wäschekeller stehen.
Ich bin gerade dabei, die letzten Stücke aus dem Trockner zu holen und in den großen Korb in der Mitte des Raumes zu werfen. Die noch warmen, aber zerknitterten Teile türmen sich wie ein großer Berg.
„Macht nichts. Den brauchen wir auch nicht“, antworte ich. Setz dich einfach her und fang an.“
Es gehört zu den Pflichten jedes unserer Töchter, im Wechsel mit ihren Schwestern mir bei der wöchentlichen Familienwäsche zu helfen. Immerhin sind wir sechs Personen und es fällt allerhand an, was gewaschen wird. Schließlich wollen alle Familienmitglieder saubere Kleidung anziehen und gelegentlich auch in neuem Bettzeug schlafen.
Ich setze mich auf den Hocker auf meiner Seite des großen Wäschekorbes und fange an zu sortieren. Unterwäsche und Socken, T-Shirts und Sweatshirts, Hosen und Nachtwäsche, Geschirr- und Handtücher. Und dann, was sonst noch so gewaschen wurde.
„Jetzt komm. Steh nicht lang rum. Wenn wir gleich anfangen, sind wir auch bald fertig.“
„Ich will aber wissen, wieviele Stunden ich arbeiten muss. Das ist schließlich Kinderarbeit!“
Ganz wichtig schaut das Töchterchen auf meine Armbanduhr und sagt die Uhrzeit mehrmals laut vor sich hin.
Dann setzt sie sich, immer noch ein bisschen unwillig, auf ihren Hocker und fängt langsam an. Die ersten Teile sind nicht so ganz ordentlich, wie ich es mir vorstelle, aber ich beiße mir die Zähne zusammen und sage nichts Negatives. Aus leidiger Erfahrung weiß ich, dass die Hilfe dadurch nicht besser wird.
„Na. Wie war es heute in der Schule?“
Während ich meine Arbeit tue und auch des Töchterchens Hände sich regen, erzählt sie mir von ihrem Schultag. Kurze Rückfragen ermuntern sie, ausführlicher zu werden. In dieser schöner Harmonie wird der zuvor übervolle, große Wäschekorb langsam leer.
Das letzte Stück wandert in einen der sechs kleinen Körbe, die entsprechend dem Besitzer die Wäsche aufgenommen haben. Jetzt ist der große Berg aufgeteilt in sechs kleine Berge. Der Inhalt der kleinen Körbe muss nur noch in die entsprechenden Schränke wandern. Aber das macht jede/r selbst.
Wir stehen auf und ich umarme das Töchterchen.
„Ganz herzlichen für deine Hilfe.“
Sie kann jetzt wieder tun, was ihr gefällt. Aber sie geht nicht einfach so. Sie nimmt noch drei der kleinen Körbe und verteilt sie im Zimmer der jeweiligen Schwester. Dann kommt sie zurück und holt ihren eigenen. Ganz vergessen ist, dass sie die Uhrzeit aufschreiben wollte, wegen der „Kinderarbeit.“
—–
Ich habe einmal nachgerechnet. In den 26 Jahren, in denen unsere Töchter und ich an den Wäschebergen gearbeitet haben, wurde, auf die Grundfläche von einem Quadratmeter, ein etwa 1,2 km hoher Berg versetzt. In guter Gesellschaft war es bestens zu bewältigen.
Und du? Versetzt du auch Berge in guter Gesellschaft? Schreib mir gerne einen Kommentar.
Herrlich wie aus einer lästigen Aufgabe, plötzlich eine gute Mutter-Tochter-Zeit geworden ist und genau das erleben wir so oft.
Keine Lust anzufangen und plötzlich haben wir Berge versetzt.
Danke für diese Geschichte!
Ich freue mich geradezu auf meinen Wäschekorb, den ich nachher noch sortieren darf!
Na denn, liebe Stephanie, ran an den Wäschekorb.
🙂
Liebe Edith, ich mag deine Geschichte. Ich kann deine Tochter mit ihrem motzigem Gesicht direkt vor mir sehen. Wow, wahnsinn welch einen hohen Berg an Wäsche du bewältigt hast. Und auch eine schöne Geschichte im Umgang mit Nullbock und wie gmeinsam Berge noch besser versetzen lässt.
Liebe Jennifer,
wir beide wissen es, dass es sehr viel leichter ist, mit guter Laune Berge zu versetzen oder zu erklimmen. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass das Leben nach dieser alten Wahrheit heutzutage fast verlorengegangen ist.