Ganz langsam senkt sich die Dämmerung über den hochsommerlichen Kiefernwald. Zusammen mit meiner Mama bewege ich mich zwischen Millionen von Heidelbeerbüschen. Die Finger sind dunkelblau und auch die Hose zeigt manchen Fleck in dieser Farbe.

Seit dem frühen Nachmittag sind wir beide hier und pflücken die kleinen, wunderbar schmeckenden Beeren. Alle wandern in die Körbchen, die Mama und ich mit einem Gürtel um dem Bauch gebunden haben. Im Wald wird keine einzige Beere gegessen. Das ist ungeschriebenes Gesetz.

Wir lieben Heidelbeeren. Und weil wir noch viele andere Menschen kennen, die Heidelbeeren genauso gerne essen wie wir, verkaufen wir die kostbare Ware. 5 DM bekommen wir je 500 g. Das schaffe ich in ungefähr einer Stunde, so mein Erfahrungswert. Und wenn die Kirchenglocke aus dem fernen Tal im Wald zu hören ist, weiß ich, dass wieder eine Stunde vorbei ist.

In der Zeit, in der wir gemeinsam pflücken, sind wir manchmal nahe beieinander. Ein anderes Mal kann es sein, dass wir ein ganzes Stück voneinander entfernt sind. Dann müssen wir uns suchen. Aber das ist gar nicht schlimm, denn wir pflücken in diesem Wald, seit ich mich erinnern kann. Ich kenne mich da aus.

Spätestens nach einer Stunde treffen wir uns an der Stelle, an der wir unsere 5-Kilo-Kiste stehen haben und vorsichtig die Beeren umfüllen. Bei dieser Aktion werden auch gleich die einzelnen Blätter aussortiert, die sich vielleicht ins Körbchen verirrt haben. Aber das ist selten. Mama und ich haben immer das Kompliment bekommen, dass wir sauber arbeiten würden.

Wenn es sich ergibt, nutze ich die Gelegenheit, mit meiner Mama über Dinge zu reden, die mich beschäftigen. Jetzt wo ich 17 Jahre alt bin, ist ein potentieller Heiratskandidat aufgetaucht. Ich schwärme Mama vor, welche guten Eigenschaften dieser junge Mann hat und möchte von ihr wissen, was sie dazu meint. Als sie mir den Spruch sagt:

Wer warten kann, kriegt auch nen Mann. Wer Gott vertraut, wird auch noch Braut,

bin ich zwar nicht begeistert, akzeptiere aber ihren Rat. Ich finde es gut, von der Lebensweisheit meiner Mama zu profitieren. Und was brauche ich mit 17 Jahren schon einen Mann? Da sind noch andere Ziele, die ich zuerst erreichen will. Eine Ausbildung machen zum Beispiel. Oder den Führerschein. Unter anderem deshalb bin ich beim Heidelbeeren pflücken so fleißig. Denn schon seit Jahren sammle ich jeden Groschen, den ich verdienen kann. Auch das Geld, das ich vom Verkauf der Heidelbeeren bekomme. Bald habe ich es beisammen.

Das Ziel vor Augen bücke ich mich weiter für jede kleine Heidelbeere. Ich weiß nicht, wie viele Körbchen ich schon voll gemacht habe. Bald kann ich wegen der zunehmenden Dämmerung nicht mehr viel sehen. Da ruft meine Mama durch den Wald: „Wo bist du? Wir sollten jetzt Schluss machen!“

Ich richte mich auf und drücke mein Kreuz durch. „Hier. Ich komme gleich.“ Schritt für Schritt gehe ich langsam auf unseren Platz zu, wo wir unsere Beeren umfüllen. Nebenbei pflücke ich noch hier und da und fülle im Körbchen die letzten Zentimeter bis zum Rand. Als ich ankomme, sehe ich Mama, deren Körbchen schon übervoll ist und das sie mit einem rotkarierten Männertaschentuch umwickelt hat.

„Na“, frage ich sie. „Hast du schon wieder ein Kipfle dran gemacht?“

„Ja. In der Kiste hat nichts mehr Platz gehabt.“ Sie lächelt. „Komm wir gehen zum Auto.“

Auf dem Weg dorthin sagt sie dankbar, wie immer: „Vergelt’s Gott für jedes Beerlein“

Dort angekommen öffnen wir unsere Gürtel und stellen ganz vorsichtig die volle Kiste und die nicht umgefüllten Körbchen ins Auto hinter den Sitz. Dort werden sie mit einer eigens dafür mitgenommenen kleinen Decke umwickelt, so dass nichts umfällt. Mama weiß um ihre kostbare Fracht und fährt entsprechend nach Hause.

Dort wird genau gewogen und in 500g-Schalen für den Verkauf umgefüllt. Das ungerade, das übrig bleibt, verspeisen wir als Belohnung. Manchmal pur mit etwas Zucker und ein Butterbrot, oder als Heidelbeerquark.

—–

Anita Arneitz hat zur Blogparade zum Thema Lieblingskräuter & Kräutergeschichten eingeladen. Das Thema hat mich zu dieser Geschichte inspiriert. Denn obwohl die Heidelbeere nicht zu den Kräutern zählt, so hat auch sie eine entzündungshemmende und verdauungsfördernde Heilkraft, von der man nur durch den Genuss derselben profitieren kann.

Gerne teile ich dazu auch mein Rezept von Heidelbeerquark. Es ist eine herrlich erfrischende Kaltspeise an heißen Sommertagen.

500 g Magerquark

ca. 100 ml fettreduzierte Milch

1 Päckchen Vanilliezucker

→ zu einer glatten Masse verrühren

400 g Waldheidelbeeren in ein Sieb füllen,

mit kochendem Wasser kurz übergießen,

abtropfen lassen,

→ in die Quarkmasse geben

und vorsichtig mit einem Löffel einrühren.

Guten Appetit

Leise schließe ich die Tür. Im Zimmer des alten Paares ist es dämmrig, denn die Fensterrollos sind fast geschlossen. Als sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben, sehe ich die weit über 80 Jahre alte Dame im Sessel sitzen. Der 90jährige, kranke Ehemann liegt im Bett daneben. Es war der Wunsch des Mannes, dass ich sie besuche.

„Was kann ich für Sie tun?“ Ich ziehe mir vorsichtig und leise einen Stuhl heran, so dass ich dem Paar gegenüber sitze.

Der Mann richtet sich leicht auf und sagt mit leiser Stimme: „Ich möchte meiner Frau einen neuen BH schenken.“

„Ach Liebling.“ Sie nimmt seine Hand und streichelt sie sanft. „Das ist doch in meinem Alter nicht mehr nötig.“

„Doch, doch. Du musst nicht immer nur die alten Sachen anziehen. Ich merke doch, dass du keinen BH mehr anziehst, weil keins der alten Stücke mehr passt.“ Er ist mit seiner ganzen Aufmerksamkeit bei ihr.

Sie lächelt. „Ach du. Auch das schönste Dessous macht meine Falten nicht mehr weg.“

„Da hast du recht. Aber mit den richtigen Dessous verschönerst du sie noch.“

„Wenn du das meinst!“ Sie küsst ihn sanft auf seine dünne, fast durchsichtige Hand. „Dann will ich es doch noch einmal mit einem neuen BH probieren.“

Während das Paar sich so liebevoll unterhält, komme ich mir fast fehl am Platze vor. Jetzt wendet sich der alte Herr mir zu. „Können Sie nicht für meine Frau etwas Schönes besorgen? Sie kommt ja durch unsere Altersgebrechen gar nicht mehr aus dem Haus.“

„Sicher kann ich das“, sage ich freundlich zu dem Mann und wende mich dann der Dame zu. „Darf ich kurz bei Ihnen Maß nehmen? Wissen Sie, ein BH muss immer optimal passen und da macht ein einziger Zentimeter manchmal den entscheidenden Unterschied.“

Die alte Dame ruckelt ein wenig in ihrem Sessel herum und beugt sich nach vorne. „Bitteschön“, sagt sie und zieht ihr weites T-Shirt nach oben. Geschwind nehme ich die Maße der Unterbrustweite. Mit der Cup-Größe wird es schwierig, denn in den Brüsten fehlt das festigende Fettgewebe. So schätze ich aufgrund meiner Erfahrung.

„Sie können das T-Shirt jetzt wieder runter lassen. Nicht dass es Ihnen sonst zu kalt wird.“ Ich helfe ein bisschen dabei und verabschiede mich dann mit dem Versprechen, bald wiederzukommen und etwas zum Auswählen mitzubringen.

Zu Hause stöbere ich die BH’s durch, die ich noch von meinem früheren kleinen Dessousgeschäft gelagert habe. Ich werde fündig und bin am nächsten Tag mit acht verschiedenen BH’s wieder da. Ich mag das alte Pärchen, denn die beiden Menschen sind mir ein Vorbild darin, in Wertschätzung und Liebe miteinander umzugehen.

Dieses Mal sind die Rollos hochgezogen und die Sonne scheint hell durch die weißen Gardinen. Der alte Mann sitzt im Bett. Er hat zwar sichtlich Schwierigkeiten, sich aufrecht zu halten, aber er möchte unbedingt zusehen, wie ich seiner Frau die Teile anprobiere. Bei jedem neuen BH gerät er fast aus dem Häuschen. Seine Augen funkeln, als wäre er gerade mal 20 und frisch verliebt.

Als wir mit allen BH’s durch sind, geht es nur noch um die Entscheidung. Sie würde am liebsten einen nehmen, der in schlichtem Weiß gehalten ist. Er aber plädiert für den türkisfarbenen mit Spitze, der so wunderbar zu ihrer Hautfarbe passt.

Bevor die alte Dame sich wackelnd wieder in ihren Sessel setzt, geht sie an das Bett ihres Mannes und küsst ihn. „Danke. Du Lieber.“

Der Liebe schaut mich an und sagt zwar leise, aber bestimmt: „In der Kommode dort in der Schublade ist mein Portemonnaie. Reichen Sie es mir doch bitte einmal.“

Ich gehorche und der Mann gibt mir einen großen Euroschein. Erschrocken wehre ich ab. „Soviel kostet der BH gar nicht!“

„Macht nichts“, kontert er. „Der Rest ist für Ihre wertschätzende Arbeit.“

Ich bedanke mich herzlich für das Lob und möchte einige Zeit später das Paar einmal wieder besuchen. Doch da ist die Frau schon von der dieseitigen in die jenseitige Welt gegangen. Und kurz danach erfahre ich aus der Zeitung, dass auch er nicht mehr lebt.

—–

Anne Hausmann hat zur Blogparade aufgerufen. Ihr Thema: „Was Dessous für mich bedeuten“ hat eine Erinnerung in mir geweckt, die ich in der obigen Geschichte aufgeschrieben habe. Ich freue mich, wenn sie dir gefällt und du einen Kommentar hinterlässt.

„Na ihr müsst hier doch nicht im Haus rumsitzen, wenn es draußen so schön warm ist.“ Mit diesen Worten schickt meine Mama mich, meine Schwester und unsere Cousine Klara nach draußen in den Garten.

Klara hängt sich rechts und links bei meiner Schwester und mir ein. Langsam gehen wir durch das Gartentor, an dem ein Rosenstrauch viele seiner prachtvollen Blüten entfaltet. Vorbei geht es an eingefassten Gemüsebeeten, auf denen Möhren, Kohlrabi und Bohnen wachsen. Gleich dahinter ist unser Spielbereich, der aus einem Sandkasten und einer Schaukel besteht.

Weil Klara zuerst schaukeln möchte, geben wir ihr den Vortritt. Nur noch ein bisschen anschubsen, dann kann sie es alleine. Als sie den Rhythmus zwischen Beine nach vorn und Beine nach hinten gefunden hat, fängt Klara an zu singen.

Meine Schwester und ich setzen uns auf den Rand des Sandkastens und fangen an, mit Förmchen Kuchen zu backen. Da beugt meine Schwester ihren Kopf nahe an mein Ohr und flüstert: „Glaubst du mit Klara ist es wirklich so schlimm?“

„Ich denke schon“, antworte ich leise. „Schau mal, sie hätte doch sonst noch Haare auf dem Kopf und nicht nur ein rotes Kopftuch mit weißen Punkten.“

„Ihr Gesicht sieht schon komisch aus, ohne Augenbrauen.“

„Pst. Leise. Nicht dass sie das hört. Da könnte sie traurig werden.“

„Ist gut.“ Eine Weile spielen wir still nebeneinander. Dann nimmt uns Klaras unbekümmerter Gesang einfach mit und wir trällern zu dritt durch unseren Garten. Das klingt so lieblich, dass es sich anfühlt, als würde dabei auch das Gemüse lieber wachsen.

Plötzlich wird Klaras Gesicht ganz weiß. Schnell stehe ich auf, putze meine sandigen Finger an der Hose ab und gehe zur Schaukel. Vorsichtig halte ich Klara an.

„Hilf mir bitte,“ rufe ich meiner Schwester zu. Klara lässt sich langsam von der Schaukel herunter auf den Boden. Dabei wackelt sie so sehr, dass wir sie zu zweit festhalten müssen.

In Sekundenschnelle überlege ich, ob wir Klara nicht kurz auf den Rand des Sandkastens setzen. Doch da kommt unser Papa in den Garten und ist in wenigen Schritten bei uns. Er nimmt Klara liebevoll auf den Arm und trägt sie ins Haus.

Meine Schwester und ich bleiben noch eine Weile draußen. „Es ist wirklich traurig, dass Klara mit ihren 12 Jahren schon Krebs hat.“ Meine Schwester wäscht sich die sandigen Hände in der Regenwassertonne aus und klettert dann auf die Schaukel.

„Ja. Das stimmt. Ich wüsste nicht, ob ich so unbekümmert wäre wie sie.“

—–

Als unsere Cousine wenige Wochen später starb, kamen meine Schwester und ich lange nicht darüber hinweg, denn Klara war so alt wie wir.

Hast du auch einmal einem Menschen gekannt, der kurz vor seinem Tod so unbekümmert war? Schreibe es mir gerne in einem Kommentar.

—–

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Blognacht mit Anna.

Die Stimme meiner Mama dringt durch die geschlossene Tür an mein Ohr. Wie automatisch antworte ich: „Ja? Was gibt’s?“

Ihre Antwort höre ich nicht mehr, denn meine Nase hängt in einem Buch. Draußen ist es Hochsommer. Die Holzläden am Fenster sind geschlossen. Dadurch ist es schön dämmrig und kuschelig in meinem Zimmer, wo ich es mir halbsitzend auf dem Bett gemütlich gemacht habe.

Das Buch fesselt mich. Die Figur, mit der ich mitfiebere ist ein Mädchen an der Schwelle zum Erwachsen werden. Es wird nicht beschrieben, aber ich stelle mir vor, dass sie ein paar Jahre älter ist als ich. Ich bin zu diesem Zeitpunkt ungefähr 14 Jahre alt.

Vor meinem inneren Auge werden die Plätze lebendig, auf denen sich das Mädchen, ihre Familie und Freunde und natürlich auch der junge Mann bewegen. Ein Häuschen, in dem eine alte Tante wohnt, die Straßen eines Städtchens, in dem so 08/15-Bürger wohnen. Die Postkutsche, mit dem das Mädchen auf Reise geht und die langen Baumalleen, an denen das Gefährt vorüberholpert. Die Stufen einer Kirche, auf denen sie beobachtet, wie der Herzensmann mit anderen Menschen umgeht. Und dann das Meer …

Meine reale Welt verschwindet. Ich merke nicht, dass es draußen dunkler wird. Nach knapp 300 Seiten ist das Buch zu Ende und ich schlage es zu.

„Haaaa. Schön.“ Ich seufze tief. Sie haben sich gekriegt.

„Sag mal. Was machst du denn so lange?“ Meine Mama hat mich gesucht und gefunden.

„Ich habe gelesen.“

„Zeig mal her. Was hast du denn gelesen?“ Sie setzt sich auf die Bettkante.

Ich reiche ihr das Buch und sie schaut auf Titel und Autorin. „Kraft des Herzens“ von Leontine von Winterfeld-Platen.

„Oh. Das ist ein schönes Buch. Das habe ich auch gelesen. Hat es dir gefallen?“

„Ja. Sehr.“ Ich rücke etwas näher an Mama heran und lege meinen Kopf an ihre Schulter. „Am liebsten würde ich es gleich noch einmal lesen.

„Warum nicht. Lies es doch mit deiner Schwester zusammen. Kapitelweise kann eine der anderen vorlesen.“

„Oh ja. Gute Idee.“

Mama erhebt sich und geht zur Tür. „Aber heute Abend nicht mehr. Morgen ist Schule. Da musst du früh aufstehen.“ Sie bleibt im Türrahmen stehen und schaut mich an. „Übrigens. Diese Schriftstellerin hat noch mehr gute Bücher geschrieben. Ich glaube, ich hab noch welche von ihr. Magst du die auch lesen?“

„Au fein. Wann?“

„Heute Abend nicht mehr. Jetzt wird geschlafen.“

Ich schlafe tatsächlich sehr schnell ein. Und dann träume ich. Natürlich etwas Schönes. Meine Wirklichkeit vermischt sich mit dem wunderschönen Buch, das ich gelesen habe.

Sobald wie möglich stecke ich meine Nase auch in die anderen Bücher dieser Autorin. Insgesamt mehr als 50 Bücher hat sie in ihrem Leben geschrieben und ich habe (fast) alle gelesen. Und es war kaum eins dabei, das ich nur einmal durchgeschmökert habe.

Zu der Zeit, als ich die Bücher von Leontine von Winterfeld-Platen in die Finger bekommen habe, war sie schon 20 Jahre tot. Aber sie hat mich in eine Welt hineingenommen, die mir meine Fantasie erschlossen hat. Viele ihre Bücher haben einen realen historischen Kontext und die Plätze, die sie beschreibt, gibt es zum Teil heute noch. Die langen Baumalleen, die Seen, die Flüsse, das Meer und vieles mehr. Es hat sich so in meine Fantasie eingebrannt, dass ich mir damals in den 1980er-Jahren vorgenommen habe, diese Orte einmal persönlich zu besuchen. Heute wohne ich selbst in der Nähe der Orte, die sie in vielen Romanen beschreiben hat. Die Bilder, die ich damals in meiner Fantasie malte, decken sich sehr oft auch heute noch mit der Realität.

Wie Leontine von Winterfeld-Platen schrieb, das zieht mich heute noch in den Bann. So ähnlich möchte ich auch die Lesenden meiner eigenen Geschichten erreichen. Ich träume davon, dass auch noch lange nach meinem Tod meine Geschichten gelesen werden und in der Fantasie der Lesenden lebendig bleiben.

—–

An dieser Stelle möchte ich mich bei der lieben Edith Gould bedanken, die eine Blogparade ins Leben gerufen hat zum Thema: Diese 3 Bücher haben mein Leben auf den Kopf gestellt. Bei mir waren es die Bücher einer Autorin, die mich im Lesen und Schreiben über ihren Tod hinaus beeinflusst haben.

Hat dich auch eine Autorin so beeinflusst, oder waren es doch 3 Bücher? Schreibe mir doch gerne einen Kommentar. Noch besser: Schreib einen eigenen Artikel zur Blogparade von Edith.

Bedrückt verlasse ich den Friedhof. Schon wieder ist jemand in meinem näheren Umfeld gestorben. Da zieht mir Kraft. Ich will mich wieder dem Leben zuwenden. Froh in die Zukunft schauen. Beim nach Hause gehen führt mich mein Weg an der Rückseite eines Kindergartens vorbei. Gleich geht es mir ein ganzes Stück besser, denn Kinder sind für mich das Symbol Nummer eins für Zukunft. Ich bleibe stehen und atme tief ein.

Am liebsten würde ich die Kinder ein bisschen beobachten und Zukunft tanken. Warum eigentlich nicht, überlege ich, und bleibe stehen. Dann suche mir in der Hecke, die den Kindergarten umgibt, ein kleines Guckloch. Außer einer Bausteinkiste und zwei sitzende Kinder kann ich nicht viel sehen. Diese beiden Kinder ziehen jedoch meine Aufmerksamkeit an.

Das größere von beiden ist wahrscheinlich ein Junge. Er trägt einen grünen Pullover. Ganz in sein Spiel vertieft greift er immer wieder in eine große Kiste mit Holzbausteinen. Schon hat er einen sehr hohen Turm gebaut.

Auch der kleinere von beiden ist wahrscheinlich ein Junge. Da bin ich mir aber nicht sicher, denn das Kind trägt ein gelbes T-Shirt mit einer Applikation drauf, die ich nicht erkennen kann. Ich schätze, dass das kleinere Kind etwa zwei Jahre jünger ist als das große.

Wie sie friedlich nebeneinander spielen, denke ich in meinem Beobachtungsverteck.

Da registriere ich, dass das kleinere von beiden gedankenverloren immer näher an den großen Bauklötzeturm kommt. Oh. Der größere Junge scheint es aber zu bemerken und für seinen Turm zu fürchten. Vorsichtig geht er um sein Bauwerk herum und schiebt das Kleine ein ganzes Stück weg. Ich wundere mich, dass das Kleine das einfach mit sich geschehen lässt.

Kurz bemerke ich, dass es mir auf meinem Beobachtungsposten langsam kalt wird. Aber ich kann mich noch nicht trennen.

Wie ich weiter durch die Lücke in der Hecke linse merke ich, dass sich das Kleinere wieder dem Turm nähert. Ich vermute, dass der Größere wie beim ersten Mal reagiert, reiße aber Mund und Augen auf, als es nicht so ist. Der Junge steht auf, greift in Sekundenschnelle mit beiden Händen den Arm des Kleineren und beißt hinein. Au. Das muss weh getan haben. Sogar von hier aus kann ich den Abdruck der Zähnchen sehen.

Das Kind läuft weinend weg. In meinem Versteck überlege ich, was jetzt passiert. Wenn ich da drinnen wäre, würde ich wahrscheinlich das größere Kind ermahnen. Oder auch erwirken, dass es sich bei dem Kleinen entschuldigt. Und wenn ich selbst das gebissene Kind gewesen wäre, dann hätte ich dem anderen wahrscheinlich etwas übergebraten. Die Kämpferin für Gerechtigkeit regt sich heftig in mir. …

Ich will gerade meinen Beobachtungsposten verlassen, da kommt das kleinere Kind mit dem gelben T-Shirt zurück. Die Spuren der Tränchen in den Augen kann ich noch erkennen. Das letzte was ich sehen kann ist, dass es in die Bausteinkiste greift, etwas herausnimmt und dem Größeren hinhält.

Voller Staunen trenne ich mich von dem Bild der Zukunftshoffnung und setze meinen Weg fort. Das kleine Kind hat mir eine Lehre gegeben. Wäre es nicht immer der bessere Weg, dem Gegenüber ein Friedensangebot zu machen? Vor allem zu Lebzeiten. Denn wenn einer von beiden auf dem Friedhof liegt ist es zu spät. Was meinst du dazu? Schreibe mir gerne einen Kommentar.

„Ich hab keinen Bock!“

Mein zwölfjähriges Töchterchen stampft mit dem Fuß. Mit verschränkten Armen und vorgeschobener Unterlippe bleibt sie in der offenen Tür zu unserem Wäschekeller stehen.

Ich bin gerade dabei, die letzten Stücke aus dem Trockner zu holen und in den großen Korb in der Mitte des Raumes zu werfen. Die noch warmen, aber zerknitterten Teile türmen sich wie ein großer Berg.

„Macht nichts. Den brauchen wir auch nicht“, antworte ich. Setz dich einfach her und fang an.“

Es gehört zu den Pflichten jedes unserer Töchter, im Wechsel mit ihren Schwestern mir bei der wöchentlichen Familienwäsche zu helfen. Immerhin sind wir sechs Personen und es fällt allerhand an, was gewaschen wird. Schließlich wollen alle Familienmitglieder saubere Kleidung anziehen und gelegentlich auch in neuem Bettzeug schlafen.

Ich setze mich auf den Hocker auf meiner Seite des großen Wäschekorbes und fange an zu sortieren. Unterwäsche und Socken, T-Shirts und Sweatshirts, Hosen und Nachtwäsche, Geschirr- und Handtücher. Und dann, was sonst noch so gewaschen wurde.

„Jetzt komm. Steh nicht lang rum. Wenn wir gleich anfangen, sind wir auch bald fertig.“

„Ich will aber wissen, wieviele Stunden ich arbeiten muss. Das ist schließlich Kinderarbeit!“

Ganz wichtig schaut das Töchterchen auf meine Armbanduhr und sagt die Uhrzeit mehrmals laut vor sich hin.

Dann setzt sie sich, immer noch ein bisschen unwillig, auf ihren Hocker und fängt langsam an. Die ersten Teile sind nicht so ganz ordentlich, wie ich es mir vorstelle, aber ich beiße mir die Zähne zusammen und sage nichts Negatives. Aus leidiger Erfahrung weiß ich, dass die Hilfe dadurch nicht besser wird.

„Na. Wie war es heute in der Schule?“

Während ich meine Arbeit tue und auch des Töchterchens Hände sich regen, erzählt sie mir von ihrem Schultag. Kurze Rückfragen ermuntern sie, ausführlicher zu werden. In dieser schöner Harmonie wird der zuvor übervolle, große Wäschekorb langsam leer.

Das letzte Stück wandert in einen der sechs kleinen Körbe, die entsprechend dem Besitzer die Wäsche aufgenommen haben. Jetzt ist der große Berg aufgeteilt in sechs kleine Berge. Der Inhalt der kleinen Körbe muss nur noch in die entsprechenden Schränke wandern. Aber das macht jede/r selbst.

Wir stehen auf und ich umarme das Töchterchen.

„Ganz herzlichen für deine Hilfe.“

Sie kann jetzt wieder tun, was ihr gefällt. Aber sie geht nicht einfach so. Sie nimmt noch drei der kleinen Körbe und verteilt sie im Zimmer der jeweiligen Schwester. Dann kommt sie zurück und holt ihren eigenen. Ganz vergessen ist, dass sie die Uhrzeit aufschreiben wollte, wegen der „Kinderarbeit.“

—–

Ich habe einmal nachgerechnet. In den 26 Jahren, in denen unsere Töchter und ich an den Wäschebergen gearbeitet haben, wurde, auf die Grundfläche von einem Quadratmeter, ein etwa 1,2 km hoher Berg versetzt. In guter Gesellschaft war es bestens zu bewältigen.

Und du? Versetzt du auch Berge in guter Gesellschaft? Schreib mir gerne einen Kommentar.

Herz mit Rosen und Ringen

Siebenundvierzig, achtundvierzig, neunundvierzig. Geschafft. Ich spüre mein Herz pochen und atme ein paar Mal tief ein. Nach ein paar Schritten klopft es wieder in normaler Geschwindigkeit.

Jeden Tag zähle ich leise die Anzahl der Stufen, wenn ich zu meinen mir anbefohlenen Schützlingen ins Dachgeschoss gehe. Meine Schutzbefohlenen sind die Bewohner eines Altenheimes. Sie freuen sich immer, wenn ich komme. Egal, ob sie mich erst vor fünf Minuten gesehen haben, oder vor fünf Tagen.

Da ist die Frau, die schon lange nur im Bett liegt. Sie winkt mir zu, wenn ich an ihrer offenen Zimmertür vorbei gehe. Ihre Sprache beschränkt sich auf wenige Worte. Was sie möchte, muss ich mehr erraten, als dass es verständlich ist. Aber sie lächelt wenn sie mich sieht. Ich weiß, dass sie sich freut, wenn ich ihr meine Zeit widme. Ich gehe deshalb zu ihr, begrüße sie und streichle ihr sanft über die Schultern.

Eine andere Frau kommt mir mit dem Rollator entgegen. Sie lacht über das ganze Gesicht und fängt an zu reden, wie ein Wasserfall. Ich höre ihr zu und bin ganz bei ihr. Dabei weiß ich, dass ihr Wortschatz sich innerhalb von kürzester Zeit wiederholt. Aber sie braucht jetzt meine ungeteilte Aufmerksamkeit und deshalb gebe ich sie ihr.

Gleich um die Ecke im Sessel sitzt noch eine Frau. Die Kleidung ist tiptop in Ordnung und farblich aufeinander abgestimmt. Die Fingernägel sind lackiert. Als sie jung war, war sie eine Dame von Welt. Jetzt hat sie einen Dauerkatheter und zieht deshalb ständig den Geruch von beißendem Urin mit sich. Sie weiß, was sie will und kann sich ausdrücken. Aber es fällt ihr schwer, sich mit ihren körperlichen Gebrechen abzufinden. Auch sie bekommt meine Zuwendung und meine Zeit.

Ein Mann hangelt sich langsam am Flurgeländer entlang. Als er mich sieht kommt er mir entgegen und sagt: „Hallo schöne Frau“. Und ich antworte ihm: „Hallo schöner Mann“. Es ist wie ein Ritual zwischen ihm und mir. Meine Kolleginnen sagen manchmal, dass ich aufpassen soll, dass er mir nicht zu nahe trete, denn er sei früher ein Schürzenjäger gewesen. Für mich ist dieser alte Mann aber einfach nur ein Mensch, der eben jetzt gerade in diesem Moment gerne Spaß macht.

Ein Stück weiter den Gang entlang sehe ich unsere älteste Bewohnerin im Rollstuhl sitzen und sich langsam mit Minischritten vorwärts bewegen. Sie ist voll darauf konzentriert, ihren kleinen Weg alleine zu meistern. Wie sie sich immer noch anstrengt, denke ich und gehe ihr entgegen. Direkt vor ihr bleibe ich stehen, spreche sie laut an und streichle ihren Rücken. Sie wendet den Kopf und es zeigt sich ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht. „Schön, dass du da bist“, sagt sie. Dabei weiß ich ganz genau, dass sie nur meinen Schatten und meine Aura wahrnimmt, denn sie ist fast blind.

Das Zimmer einer sterbenden Frau betrete ich sehr leise. Ich fühle, dass es nur noch kurze Zeit ist, bis sie von der diseitigen in die jenseitige Welt geht. Genau wie alle Anderen bekommt sie meine volle Aufmerksamkeit. Ich habe ihr sanfte Musik mitgebracht, auf die sie kaum eine Reaktion zeigt. Trotzdem weiß ich, dass sie meine Gegenwart spürt und die Musik hört.

Das sind nur einige, wenige Beispiele meiner täglichen Arbeit. Mein Herz schlägt dafür, diesen Menschen im Atenheim meine Liebe zu geben. Und ich erhalte ihre Zuneigung in so vielfältiger Weise zurück, dass ich einfach nur dankbar dafür sein kann.

—–

Vielen Dank an Anna für den Impuls in der 46. Blognacht. Auch bei Alexandra Cordes-Guth möchte ich mich herzlich bedanken, die zur Blogparade „Meine besten Glücksstrategien“ aufgerufen hat. Wieder einmal ist mir bewusst geworden, dass zu meiner bevorzugten Stragegie zum Glücklich-Sein, das Glücklich-Machen gehört.

„Du kannst alles lernen, wenn du willst.“ Diesen Satz habe ich in meiner Kindheit gehört und ich wusste damals nicht, ob es eine Drohung oder eine Ermutigung war.

Heute weiß ich, dass diese Aussage wahr ist. Denn immer, wenn ich in meinem Leben etwas erreichen wollte, war ich auch willig und bereit dazu, das entsprechende Wissen zu lernen. Häufig war dieses Lernen für mich ein Durchbeißen. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die leicht lernen. Vor allem theoretisches Fachwissen muss ich häufig wiederholen, bis es sitzt.

Meine Schul- und sonstigen Abschlüsse meisterte ich deshalb eher mittelmäßig bis schlecht. Und davon gab es viele. Aber jedes Mal, wenn ich ein Zeugnis in der Hand hielt, das meine Leistungen schwarz auf weiß zeigte, war ich stolz.

Außerhalb des Klassenzimmers habe ich allerdings viel mehr gelernt, als auf der Schulbank. Und genau das möchte Sabine Landua in ihrer Blogparade gerne wissen. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich das Meiste unbewusst gelernt. Erst im Nachhinein, ist es mir aufgefallen. Vielleicht habe ich auch einiges gelernt was ich noch gar nicht weiß.

Wenn ich jedoch bewusst etwas lernen wollte, dann nutzte ich mein persönliches drei-Schritte-System. 1. beobachten, 2. analysieren, 3. auswerten. Hier zwei Beispiele:

Beispiel 1

Beobachtung:

Ich war eingeladen bei einem Pärchen in meiner Bekanntschaft. Sie unterhielten sich. Was ich hörte waren Beleidigungen und Anschuldigungen in keiner sehr niveauvollen Sprache. Und am Ende jeden Satzes die Ergänzung: „Nicht wahr, Schatz?“ Diese drei Worte trieften vor Verachtung.

Analyse:

Obwohl das Wort „Schatz“ eigentlich positiv ist, wurde es in diesem Kontext zur Erniedrigung des Partners verwendet.

Auswertung:

So will ich das nicht! Das Wort „Schatz“ ist für meine Partnerschaft gestrichen. Es gibt auch Alternativen.

Beispiel 2

Beobachtung:

Ich sitze auf einer Bank der Fußgängerzone einer großen Stadt. Eine große, hübsch gekleidete, sehr kräftige Frau geht wackelnden Ganges zügig an mir vorbei. Etwa eineinhalb Schritte hinter ihr geht ein gebeugter Mann, der vier prall gefüllte Taschen eines bekannten Modegeschäfts trägt. Die Frau redet ununterbrochen und der Mann nickt mit dem Kopf und lässt sie, trotz Schweißperlen auf der Stirn, nicht aus den Augen.

Analyse:

In dieser Beziehung scheint eindeutig die Frau das Sagen zu haben. Der Mann wirkt wie das schleppende Anhängsel.

Auswertung:

So will ich das nicht. Ich möchte in meiner Partnerschaft Gleichrangigkeit haben. Mein Mann soll und darf neben mir gehen. Am liebsten mit Händchen halten.

Wenn ich dann für mich eine Auswertung gefunden habe, suche ich nach Lösungen, wie ich es besser machen kann. Dafür besorge ich mir vor allem Bücher. Wenn sie gut sind, nutzte ich die dort vorgeschlagenen Hilfen.

Die obigen Beispiele sind zwar beide aus der Partnerschaft, aber das gleiche System wende ich auch auf alle anderen zwischenmenschlichen Bereiche an.

Doch was würde es mir nützen, wenn ich nur andere Leute beobachte und mich selbst nicht? Auch mein eigenes Verhalten wird immer wieder reflektiert. Denn eins ist mir klar: Ich kann mich in meiner Persönlichkeit nur weiterentwickeln, wenn ich lerne, mit mir selbst umzugehen.

Mein aktuelles Abenteuer ist, das Schweigen zu lernen. Nicht alles was ich denke, muss ungefiltert aus meinem Mund fließen. Dazu nutze ich die drei Siebe der Weisheit von Sokrates: Wahrheit, Notwendigkeit und Güte. Und so wie ich das jetzt sehe, werde ich daran noch mein restliches Leben lang lernen. Aber ich will. Egal wie alt ich werde.

—–

Hast du ein aktuelles Lernabenteuer? Schreibe es mir doch gerne in einem Kommentar.

Lauenburg/Elbe

Die Morgensonne scheint durch das Fenster meines Schlafzimmers. Jemand hat es geöffnet. Ich höre das Gezwitscher vieler Spatzen, die es sich auf der Dachrinne direkt darüber bequem gemacht haben. Es klingt wie ein Konzert aus tausend Tönen in meinem Ohr. Eine ganze Zeit lang bleibe ich noch in meinem Bett liegen, bin still und höre konzentriert zu. Irgendwann fliegen die Spatzen weg und Autolärm wird hörbar. Da stehe ich auf und schließe das Fenster. Inspiriert durch das Konzert der Spatzen greife ich zu meiner Lieblingsmusik und versinke in den Tönen.

Nach dem Aufstehen sind meine „Schönheitsreparaturen“ an der Reihe. Ich gehe ins Bad. Jemand hat schon geduscht. Es duftet wunderbar nach frischen Kräutern. Ich ziehe eine ganze Nase voll tief in mich hinein. Die Erinnerung an meine Kindheit zeigt mir das Bild eines Schaumbades mit Fichtennadelgeruch. Herrlich. Inspiriert durch den Duft, gehe ich ebenfalls unter die Dusche. Der Duft von frischen Kräutern bleibt auch nach meinem Gebrauch noch eine Weile in der Luft hängen.

Aufgehübscht und fröhlich beginne ich meine Kleidung auszuwählen. Jemand hat meine Kleidung gewaschen und in den Schrank gelegt. Slip, BH, Socken, Hose, Bluse und eine leichte Strickjacke. Brauche ich noch zusätzlich etwas Warmes für darunter? Nein. Heute nicht. Inspiriert durch die angenehmen Stoffe und Materialien ziehe ich mich langsam an. Jedes Teil an mir genieße ich bewusst. Dann schlüpfe ich noch in meine Puschen. Alles passt optimal. Nichts kratzt, beißt oder drückt. Ich fühle mich rundum wohl.

Gut gelaunt gehe ich ins Esszimmer. Jemand hat das Frühstück schon zubereitet. Aufgebackene Brötchen liegen in einem Korb. Marmelade und Honig sind hübsch in Gläser gefüllt. Eine kleine Käseplatte und eine nett angerichtete Wurstaufschnittplatte sind hübsch drappiert. Butter und Aufstrich runden das Ensemble ab. Tee dampft in der Kanne. Inspiriert setze ich mich an mein Gedeck und beginne zu essen. Das Brötchen knuspert. Die Süße der Marmelade und des Honigs verbreitet sich in meinem Mund. Der heiße Tee schmeckt wunderbar nach Fruchtaroma. Das Fett in der Butter verstärkt meine Wahrnehmung im Geschmack. Ich genieße, bis ich satt bin.

Jetzt einen Spaziergang machen. Die strahlende Sonne lockt mich hinaus. Ich gehe meinen Lieblingsweg am Deich an der Elbe entlang. Jemand hat die Natur so schön gemacht. Mein Blick geht Richtung Osten, woher in einem weiten Bogen das Wasser kommt. Dann schaue ich ihrem Bett hinterher in Richtung Nordwesten. Ich weiß, dass die Elbe dort ihre Mündung in der Nordsee hat. Neben mir mündet ein kleiner Bach in den großen Strom. Ich beobachte, wie sich das Wasser mischt und bizarre Kreise zieht. Am gegenüberliegenden Ufer recken einige reetgedeckten Bauernkaten ihre Dächer in den Himmel. Kleine weiße Wölkchen ziehen langsam am Firmament entlang. Inspiriert bleibe stehen und lasse auf mich wirken, was ich sehe. Später werde ich es zu Papier bringen.

Ausgeglichen und über alle Sinne inspiriert, kann ich jetzt durch den Tag gehen und tun, was mir vor die Hände kommt.

—–

Vielen Dank, liebe Anna, für die Inspiration der heutigen Blognacht.

Hure oder Göttin

Männerabend in unserem Hause. Ich kann ihn gut leiden, den Kumpel meines Mannes, der öfter mal zu einem Bierchen zu uns kommt. Heute habe ich Lust, ein wenig mit ihm zu schäkern. Ohne Vorwarnung und völlig unüberlegt stelle ich ihn vor die Wahl: Hure oder Göttin? Seine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Ich nehm die Hure. Da weiß ich, was ich zu erwarten hab.“

Ich bin perplex. Innerlich möchte ich mir auf die Zunge beißen. Ich wünschte, ich hätte diese Worte nie ausgesprochen. Aber Worte haben Macht und lassen sich nie wieder zurück holen. Zum Glück wechselt mein Mann schnell das Thema. Aber mir geht die Reaktion des jungen Mannes nicht mehr aus dem Kopf. Ich würde gerne nachfragen, welches Bild er grundsätzlich von einer Frau hat, dass er auf diese Aussage kommt. Aber ich traue mich nicht. Zu heiß ist dieses Thema. Und zu schnell könnte ich auf eine Schiene geschoben werden, auf der ich nicht sein will.

Wie also komme ich zu einer Antwort auf die Frage nach dem Frauenbild? Ich kann mir doch nicht einfach irgendetwas ausdenken, was so nicht stimmt? Zu meinem Mann habe ich Vertrauen. Ich spreche dieses Thema später noch einmal an, als der Kumpel längst nicht mehr da ist. Mein Mann erinnert mich daran, dass ich diesbezüglich sicher in der Geschichte fündig werde. Hmmm. Ich weiß nicht so recht. Aber gut. Ich werde mal auf die Suche gehen.

Kultur und Religion

Eigentlich fange ich bei einem Thema nicht gerne bei Adam und Eva an. Aber in diesem Fall ist es diese Information die heute in unserer Kultur bekannt ist. Es ist eine Tatsache, dass es männliche und weibliche menschliche Spezies gibt. Bereits in der ersten uns bekannten Hochkultur der Sumerer, im heutigen Irak, finde ich bei Recherchen, dass die Frau als Wesen bereits als Göttin verehrt worden ist. Um genau zu sein, sogar als Fruchtbarkeitsgöttin.

Ganz auf das Wesentliche reduziert hieß dieser „Glaube“: Die Frau empfängt Leben, nährt Leben und gibt Leben weiter. Das ist zu verehren.

Ob die Frau als Individum damals von einem Mann verehrt wurde, das lässt die Berichterstattung der damaligen Religion offen. Es ist Interpretationssache. Genauso bleibt es unbekannt, ob nur einzelne Frauen als Göttinen verehrt wurden, ob es mehrere waren, oder ob diese sogar untereinander bereits eine Hierarchie hatten.

Von vielen weiteren so genannten Hochkulturen ist ebenfalls bekannt, dass Frauen als Göttinen verehrt wurden. Man denke nur an die griechischen Göttinen der Antike. Aber auch die so genannten Naturvölker verehrten die Frau im Allgemeinen und manche Frauen im Besonderen.

Und doch scheint es immer einen Unterschied gegeben zu haben zwischen der Frau als Göttin und der Frau als Hure. Wobei beide meines Wissens nach ein und dasselbe getan haben. Nämlich: Leben empfangen, Leben nähren und Leben weitergeben. Beide hatten jeweils in der selben Religion und Kultur ihr Dasein.

Dass die Frau als Hure sogar als berufstätig gilt, das haben wir heute der Kultur und Religion zu verdanken, die aus dem alten Rom entstanden ist. Es ist ein schreckliches Kapitel und ich möchte darauf auch nicht näher eingehen. Wer möchte und interessiert ist, kann dieses Thema leicht recherchieren.

Woran liegt es?

Meine Frage ist dadurch aber immer noch nicht beantwortet. Warum möchte der junge Mann lieber eine Hure? Was verbindet er mit Hure? Über eine mögliche Antwort denke ich besonders nach.

Kann es sein, dass es am Selbstwertgefühl des Mannes liegt? Wenn ein Mann ein sehr geringes Selbstwertgefühl hat, dann hat er es nötig, die Frau klein zu machen. Eine Hure hat zu gehorchen. Der Mann ist Herr über sie. Das könnten mögliche Gedanken sein. Gegenüber einer Hure fühlt der Mann sich groß. Bei einer Göttin hingegen ist der Mann klein. Die Frau steht weit über ihm. Er hat zu gehorchen. In alten Kunstwerken wird dies oft detailreich ausgeschmückt.

Hure oder Göttin? Es ist egal. Einer ist immer klein und unten und der andere ist immer groß und oben. Welche Kraft der Symbolik liegt hinter dieser Aussage!

Gibt es eine Alternative?

Ich meine ja! Denn wenn ein Mensch weiß, dass er bedingungslos und über alle Maßen geliebt ist, dann hat er es nicht nötig, sich, oder den anderen klein zu machen. Es braucht die Wertung nicht: Hure oder Göttin! Beide. Mann und Frau sind nicht gleich sondern gleichwertig. Beide tragen ihren Teil dazu bei, das Leben weiterzugeben.

Was meinst du zu diesem Thema? Schreibe gerne einen Kommentar.